Des Sieges bittere Tränen
war ein heftiger Schmerz in der Schulter. Sie schwoll an, wurde dunkelrot, er konnte den Arm schon nach einer Minute kaum noch heben.
Irgend jemand muß mich doch hören, überlegte er weiter. Sie lebt doch nicht allein auf diesem riesigen Schloß. Es gibt Angestellte. Mädchen, einen Gärtner, vielleicht sogar mehrere. Einer allein kann diesen Prunk gar nicht pflegen, er müßte schon Tag und Nacht arbeiten. Wenn ich schreie, gibt es hier auch Ohren.
Er rannte zum Fenster, riß es auf und brüllte hinaus in den Park. Niemand antwortete, niemand erschien. Nur der Schwan auf dem Teich schlug mit den Flügeln, reckte den Hals und glitt majestätisch weiter. Ein leichter Wind rauschte in den Bäumen, wiegte die Blütenbüsche.
Sonst Stille.
Ein Paradies.
Für Inspektor Labois kam die Stunde des Einsatzes. Vierundzwanzig Stunden waren verstrichen – von Horst Hartung noch keine Nachricht, aber auch keine Spur. Labois hatte im stillen weiter ermittelt. Wettgangster schieden völlig aus – der ›Prix Rothschild‹ war kein Nationalpreis, außerdem wettete man in Frankreich nur Galopp- oder Trabrennen, Drohungen oder Erpressungen lagen nicht vor, keine Lösegeldforderungen, nicht das leiseste Tatmotiv. Es war der rätselhafteste Fall, den die Pariser Polizei je untersucht hatte. Ein Mann, ein berühmter Springreiter, verschwindet spurlos aus einem Hotel, nachdem er noch detailliert sein Frühstück für den nächsten Morgen bestellt hat. Er gibt der Gräfin de Béricourt ein Autogramm, und von da ab ist er nicht mehr vorhanden.
Labois zögerte. In der Routinearbeit der Polizei ist die letzte Kontaktperson immer die wichtigste. Der letzte, der mit einem Vermißten gesprochen hat, kann – ohne es zu wissen – die Lösung in der Hand halten. Hier war es eine Béricourt, und Labois kam sich selbst lächerlich vor, die Gräfin noch einmal zu verhören. Er hatte vorsichtig Erkundigungen eingezogen – die Jungfrau von Orléans war verdächtiger als Elise.
Fallersfeld blieb bis zuletzt im Hotel, immer noch in der Hoffnung, einen Hinweis über Hartung zu erhalten. Dann fuhr er hinaus nach Saint-Cloud, bleich, übernächtigt, mit müden Augen.
Zehn Uhr früh.
Um vierzehn Uhr begann der erste Umlauf zum Goldenen Pokal.
Noch vier Stunden.
Die deutsche Equipe saß bedrückt auf dem Abreiteplatz. Noch war offiziell nichts bekannt, Laska mit Hartung stand noch auf der Startliste. Mit dem Nachtflugzeug war Jarasinski nach Paris geflogen, um für Hartung einzuspringen. Aber er weigerte sich, Laska zu reiten. Es nützte nichts, daß Fallersfeld brüllte und tobte, ihm den Befehl gab und Konsequenzen androhte.
»Ich mache mich lächerlich auf diesem Biest«, sagte Jarasinski. Es gab keinen deutschen Reiter, der ihm nicht beipflichtete. »Erinnern Sie sich an Hamburg beim M-Springen? Birkel saß auf Laska, weil Hartung eine Gastritis bekam. Vier Hindernisse nahm sie mit Bravour, dann buckelte sie mitten beim Anreiten, warf Birkel ab und machte den Parcours allein und ohne Reiter zu Ende. Null Fehler. Über Birkel hat alles wochenlang gelacht. Wir haben ›Odysseus‹ bei uns – den reite ich!«
»Odysseus ist in einer Form, daß er sich selbst in den Hintern tritt!« schrie Fallersfeld. »Ich brauche Laska!«
»Ohne mich.«
Was nun werden sollte, war noch nicht geklärt, als Fallersfeld endlich auf dem Platz erschien. Romanowski ritt Laska um das Viereck, sie wirkte ungemein locker, tänzelte, lief die saubersten Schritte seit Wochen, setzte über die Übungshindernisse, als springe sie über einen Ast. Fallersfeld stützte sich auf den Zaun und starrte Laska an.
»Das Aas ist in Superform«, sagte er, als Winkler sich neben ihn stellte. »Es ist, als wüßte sie, daß sie heute nicht geritten wird, und zeigt uns jetzt alles, was in ihr steckt. Ein perfides Stück! In dieser Form mit Hartung, der Pokal wäre schon im Schrank, bevor das Turnier beginnt! Mein Gott, womit habe ich das verdient?«
»Von Hartung nichts?« fragte Winkler leise.
»Keine Spur.«
»Was macht die Polizei?«
»Labois versucht, mich mit philosophischen Reden aufzuheitern. Ich könnte ihn erwüreen.«
»Wenn man ein Motiv wüßte!«
»Labois' Rede. Selbst Raubmord schaltet aus. Hartungs Brieftasche mit allem Geld und allen Papieren liegt in seinem Zimmer. Er kann nur ein paar Francs in der Tasche gehabt haben.«
»Was wiederum beweist, daß er nicht die Absicht hatte, bummeln zu gehen. Er blieb im Hotel, wollte ja früh ins Bett.«
»Und hat
Weitere Kostenlose Bücher