Des Teufels Alternative
tauchte das Tuch in die Mischung, packte ein Dutzend Eiswürfel hinein und drückte es leicht auf die schlimmsten Stellen, wo die ultravioletten Strahlen fast bis auf die Knochen gedrungen waren. Dampfschwaden stiegen von dem Bewußtlosen auf, als das eisige Adstringens dem verbrannten Fleisch die Hitze entzog. Der Mann erbebte unter einem Schauer.
»Lieber Fieber bekommen als am Sonnenbrand sterben«, erklärte Mario ihm auf italienisch. Der Mann hörte nichts – und hätte auch nichts verstanden.
Auf dem Achterdeck, wo das an Bord geholte Ruderboot lag, stieß Longhi auf den Kapitän.
»Irgendwas Besonderes?« fragte der Bootsmann.
Kapitän Ingrao schüttelte den Kopf.
»Der Mann hatte nichts auf dem Leib als eine billige Unterhose ohne Etikett. Keine Uhr, keine Erkennungsmarke. Und sein Bart scheint ungefähr zehn Tage alt zu sein.«
»Das Boot war auch leer«, sagte Ingrao. »Kein Mast, kein Segel, keine Riemen. Kein Proviant und kein Wasserbehälter. Das Ding hat nicht mal einen Namen. Aber der kann auch abgeblättert sein.«
»Ein Tourist, der von einem Badeort aufs Meer hinausgetrieben worden ist?« meinte Longhi. Ingrao zuckte mit den Schultern.
»Oder ein Überlebender von einem kleinen Frachter«, sagte er. »In zwei Tagen sind wir in Trabzon. Die türkischen Behörden sollen sich darum kümmern, sobald er zu sich kommt und reden kann. Na ja, wir werden sehen. Wir müssen unseren Agenten über Funk informieren, damit er einen Krankenwagen schickt, wenn wir anlegen.«
Zwei Tage später lag der Schiffbrüchige, die meiste Zeit bewußtlos und noch immer unfähig zu sprechen, in einem weißbezogenen Bett des kleinen städtischen Krankenhauses von Trabzon.
Mario hatte seinen Schützling auf dem Transport im Krankenwagen vom Kai bis zum Hospital begleitet – gemeinsam mit dem Schiffsagenten und dem Hafenarzt, der darauf bestanden hatte, den delirierenden auf ansteckende Krankheiten zu untersuchen. Nach einer Stunde hatte Mario seinem bewußtlosen Freund Lebewohl gesagt und war an Bord zurückgekehrt, um das Mittagessen für die Besatzung zu kochen. Abends war der alte italienische Frachter bereits wieder ausgelaufen.
Am nächsten Tag stand ein anderer Mann in Begleitung eines Polizeibeamten und des Arztes am Bett des Schiffbrüchigen. Alle drei waren Türken, aber der untersetzte, breitschultrige Zivilist sprach passables Englisch.
»Er kommt durch«, sagte der Arzt, »aber noch ist sein Zustand kritisch. Hitzschlag, Verbrennungen zweiten Grades, allgemeine Entkräftung. Er scheint seit Tagen nichts gegessen zu haben und ist sehr schwach.«
»Was ist das?« fragte der Zivilist und deutete auf die Tropfe, die an die Arme des Mannes angeschlossen waren.
»Glukose zur Stärkung, Kochsalzlösung gegen den Schock«, antwortete der Arzt. »Die Seeleute haben ihm mit ihrer Sofortbehandlung wahrscheinlich das Leben gerettet. Wir haben ihn in Kamille gebadet, um den Heilungsprozeß zu fördern. Alles übrige muß er mit Allah ausmachen.«
Urmit Erdal, Gesellschafter der Schiffahrts- und Handelsfirma Erdal & Sermit, war der Unteragent von Lloyds für den Hafen Trabzon, und erleichtert hatte der Agent der Garibaldi den Fall des Schiffbrüchigen an ihn weitergeben. Die Lider des Kranken zuckten in dem nußbraunen, bärtigen Gesicht. Urmit Erdal räusperte sich, beugte sich über den Mann und sprach sein bestes Englisch.
»Wie … Sie … heißen?« fragte er langsam und deutlich.
Der Mann stöhnte und warf den Kopf von einer Seite auf die andere. Der Lloyds-Agent beugte sich noch tiefer über ihn. » Sradscheny «, murmelte der Kranke, » sradscheny. «
Erdal richtete sich auf. »Er ist kein Türke«, stellte er fest, »aber er scheint Sradscheny zu heißen. Aus welchem Land kommt man mit so einem Namen?«
Die beiden anderen zuckten mit den Schultern. »Ich benachrichtige Lloyds in London«, entschied Erdal. »Vielleicht ist dort etwas von einem im Schwarzen Meer verschollenen Schiff bekannt.«
Die Bibel aller Handelsmarinen der Welt ist Lloyds List. Das Blatt erscheint täglich außer sonntags und bringt Abhandlungen, Dokumentationen und Nachrichten über ein einziges Thema – über die Schiffahrt. Ihm beigelegt ist Lloyds Shipping Index mit den Bewegungen der 30 000 aktiven Handelsschiffe der Welt: Name des Schiffs, Eigner, Nationalität, Baujahr, Tonnage, letzter und nächster Hafen.
Die Redaktionen beider Blätter befinden sich in einem Gebäudekomplex am Sheepen Place in Colchester in der
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