Des Teufels Alternative
sie nicht gekannt. Ich hatte die beiden erst vor ein paar Monaten kennengelernt.«
»Aber sie sind Ukrainer, sind Widerstandskämpfer?« fragte Drake gespannt.
»Ja, sie sind Ukrainer. Aber das ist für sie nicht das ausschlaggebende Motiv. Auch ihr Volk hat leiden müssen. Ihre Väter sind, ebenso wie meiner, zehn Jahre lang in Arbeitslagern gewesen – aber aus einem anderen Grund. Sie sind Juden.«
»Aber sie hassen Moskau? Sie wollen auch den Kreml bekämpfen?«
»Ja, sie hassen Moskau«, bestätigte Kaminski. »Genau wie du und ich. Sie scheinen von der sogenannten Jüdischen Verteidigungsliga angeregt worden zu sein. Sie hatten davon im Radio gehört. Genau wie wir wollen sie sich nicht länger drangsalieren lassen, sondern in Zukunft zurückschlagen.«
»Dann laß mich mit ihnen in Verbindung treten!« drängte Drake.
Als Drake am nächsten Morgen zurück nach London flog, trug er die Namen und Adressen der beiden jungen jüdischen Widerständler in Lwow in der Tasche. Innerhalb von vierzehn Tagen hatte er eine von Intourist geleitete Rundreise gebucht, die Anfang Juli nach Kiew, Ternopol und Lwow führen sollte. Außerdem hatte er in der Firma gekündigt und seine gesamten Ersparnisse abgehoben.
Ohne daß irgend jemand etwas bemerkte, begann Andrew Drake, alias Andrej Drach, seinen Privatkrieg – gegen den Kreml.
Kapitel 1
Mitte Mai 1982 schien eine sanft wärmende Sonne auf Washington herab. Auf den Straßen tauchten die ersten Hemdsärmel auf und im Park des Weißen Hauses blühten vor den Terrassentüren des Ovalen Zimmers die ersten dunkelroten Rosen. Aber obwohl die Türen offenstanden und der frische Duft von Gras und Blumen ins Arbeitszimmer des mächtigsten Mannes der Welt drang, konzentrierte sich die Aufmerksamkeit der vier im Raum anwesenden Männer auf andere Pflanzen in einem anderen Land.
Präsident William Matthews saß dort, wo amerikanische Präsidenten schön immer gesessen haben: mit dem Rücken zur Südwand des Arbeitszimmers, hinter einem großen, alten, kostbaren Schreibtisch mit Blick auf den klassischen Marmorkamin, der die Nordwand beherrscht. Im Gegensatz zu den meisten seiner Vorgänger hatte Matthews auf einen eigens für ihn angefertigten Stuhl verzichtet; er benutzte einen serienmäßigen Drehsessel mit hoher Rückenlehne, wie ihn jeder leitende Angestellte hätte haben können. Denn »Bill« Matthews, wie er sich auf Wahlplakaten nennen ließ, hatte in allen seinen erfolgreichen Wahlkampagnen seine durchschnittlichen, in keiner Weise übertriebenen Ansprüche in bezug auf Kleidung, Essen und Bequemlichkeit herausgestellt. Sein Stuhl, der von den zahllosen Abordnungen, die der Präsident im Ovalen Zimmer persönlich zu empfangen pflegte, gesehen wurde, mußte deshalb einfach sein. Den kostbaren alten Schreibtisch hatte Matthews von seinen Vorgängern übernommen, worauf hinzuweisen er stets bemüht war; dieses Möbel war ein Stück Tradition des Weißen Hauses geworden. Das machte sich immer gut.
Aber das war für Bill Matthews das Äußerste. Selbst im Kreis seiner engsten Mitarbeiter war die Anrede »Bill«, die er sich von jedem kleinen Wähler bieten ließ, nicht zulässig. Außerdem sparte er sich den netten Tonfall und das faltige Grinsen, Eigenschaften, die die Wähler dazu bewogen hatten, den netten Jungen von nebenan ins Weiße Haus zu entsenden. Er war nicht der nette Junge von nebenan, und seine Mitarbeiter wußten das; er war der Mann ganz oben.
Vor dem Schreibtisch des Präsidenten saßen auf Lehnstühlen die drei Männer, die darum gebeten hatten, ihn an diesem Morgen allein sprechen zu dürfen. Matthews’ engster Mitarbeiter war der Vorsitzende des Nationalen Sicherheitsrates, sein Berater in Sicherheitsfragen und Vertrauter auf außenpolitischem Gebiet: Stanislaw Poklewski, ein Mann mit auffallend scharfen Gesichtszügen, in der Umgebung des Kapitols abwechselnd als »der Doc« und »dieser verdammte Polacke« bezeichnet, wurde gelegentlich angefeindet, aber nie unterschätzt.
William Matthews und Stanislaw Poklewski bildeten ein seltsames Gespann: der blonde, hellhäutige, angelsächsische Protestant aus dem tiefsten Süden der Vereinigten Staaten und der dunkle, schweigsame, fromme Katholik, der als kleiner Junge aus Krakau herübergekommen war. Aber was Bill Matthews an Verständnis für die komplexe Psychologie der Europäer im allgemeinen und der Slawen im besonderen fehlte, konnte diese von Jesuiten erzogene menschliche Rechenmaschine
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