Des Teufels Kardinal
Doppelbett, Sessel, Kleiderschrank, Spiegelkommode und Schreibtisch mit Telefon und Fernseher.
Harry zog seine Jacke aus und trat ins Bad. Er ließ das Wasser laufen, bis es kalt war, befeuchtete dann seine Hand und kühlte sich damit den Nacken. Als er den Kopf hob, sah er sein Gesicht im Spiegel. Sein Blick war ängstlich, einsam, aber irgendwie stärker und entschlossener.
Er wandte sich ruckartig vom Spiegel ab, ging ins Zimmer zurück und sah dabei auf seine Uhr.
23.10 Uhr
Harry trat an den Kofferständer und zog den Reißverschluß der Reisetasche auf, die Adrianna ihm mitgegeben hatte. Sie enthielt etwas, das der Polizeibeamte bei seiner flüchtigen Durchsuchung des Ge-päckstücks übersehen hatte: ein von einem Notizblock des Hotels Barchetta Excelsior in Como abgerissenes Blatt mit Edward Moois Telefonnummer.
Harry nahm den Hörer des Telefons auf dem Schreibtisch ab, zö-
gerte kurz und tippte dann die Nummer ein. Am anderen Ende klingelte es. Einmal, zweimal. Nach dem dritten Klingeln hob jemand ab.
»Pronto«, meldete sich eine Männerstimme.
»Edward Mooi, bitte. Tut mir leid, daß ich noch so spät anrufe.«
Am anderen Ende herrschte kurzes Schweigen, dann sagte der Mann: »Hier ist Edward Mooi.«
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»Ich bin Pater Jonathan Roe von der Georgetown University. Ich bin Amerikaner und gerade in Bellagio angekommen.«
»Was wünschen Sie?« Die Stimme klang mißtrauisch.
»Es geht um die Fahndung nach Pater Daniel Addison… Ich habe die Fernsehreportagen gesehen…«
»Ich weiß überhaupt nicht, wovon Sie reden.«
»Ich dachte, als amerikanischer Priester könnte ich vielleicht helfen, wo andere machtlos sind.«
»Tut mir leid, Pater, aber davon weiß ich nichts. Das ist alles ein Mißverständnis gewesen. Wenn Sie mich jetzt bitte entschuldigen…«
»Ich bin im Hôtel du Lac. Zimmer drei-zwo-sieben.«
»Gute Nacht, Pater.«
Klick.
Harry ließ langsam den Hörer sinken.
Kurz bevor Edward Mooi aufgelegt hatte, hatte Harry ein ganz leises Knacken in der Leitung gehört. Es bestätigte, was er vermutet hatte: Die Polizei hatte mitgehört.
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Bellagio.
Dienstag, den 14. Juli, 4.15 Uhr
Schwester Elena Voso stand im Haupttunnel der Grotte, horchte auf den Wellenschlag an den Granitwänden und hoffte, daß Luca und die anderen bald zurückkommen würden.
Über ihr war die Grotte sechs bis sieben Meter hoch, an einigen Stellen sogar höher. Der breite Höhlengang darunter erstreckte sich hundert Meter weit bis zum Kanal und der Anlegestelle am anderen Ende. Aus den Felswänden waren teilweise zersprungene und im Lauf der Zeit abgenutzte rudimentäre Bänke herausgehauen worden, die mindestens zweihundert Menschen Platz boten.
Welchen Zweck mochte dieser mit Bänken ausgestattete unterirdische Zufluchtsort gehabt haben? Und von wem und wann war er angelegt worden? Von den Römern? Von anderen Völkern vor oder nach ihnen? Jetzt war die Höhle oder vielmehr das Höhlensystem, weil hier eine Höhle in die andere überging, jedenfalls hochmodern eingerichtet: mit Elektrizität, Belüftung, fließendem Wasser, Telefonen, einer kleinen Küche und einem großen zentralen Wohnraum, an den sich mindestens drei private Luxussuiten mit opulenten Bädern, Massageräumen und Schlafzimmern anschlossen. Außerdem sollte hier unten einer der größten Weinkeller Europas liegen, den sie allerdings nicht zu sehen bekommen hatte.
Am Sonntag abend hatte der verbindliche, gebildete Edward Mooi sie unmittelbar nach ihrer Ankunft in der Villa Lorenzi hierherge-bracht. Mooi hatte das elegante Motorboot mit geringem Tiefgang selbst gesteuert und war mit ihnen durch die Nacht nach Süden gefahren. Er war dem Seeufer gut zehn Minuten lang gefolgt, bevor er schließlich eine schmale Einfahrt in einer scheinbar geschlossenen Felswand angesteuert hatte und zwischen Felsen und überhängenden Bäumen hindurch zum Grotteneingang weitergefahren war.
In der Grotte hatte er den starken Suchscheinwerfer des Motorboots eingeschaltet und war mit ihnen durch ein Kanallabyrinth gefahren, bis sie die Anlegestelle erreichten: eine zehn mal zehn Meter große 263
Steinplattform am Ende des Tunnels, in dem sie jetzt stand. Dann waren ihre Vorräte ausgeladen und Michael Roark und Elena Voso in die Suite gebracht worden, in der sie sich jetzt befand. Zur Suite gehörten zwei Räume, ein großes Schlafzimmer, das Elena bezogen hatte, und ein Wohnzimmer, in dem jetzt Michael Roark unterge-bracht war. Dazwischen lag ein
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