Des Teufels Kardinal
erstmals, was für außergewöhnliche Menschen er kennengelernt hatte, und er erkannte auch, warum er sich zu Elena hingezogen fühlte. Sie erschien ihm reiner, anzie-hender und realer als jeder andere Mensch. Elena war vielleicht der erste reale Mensch, den er seit seiner Kindheit getroffen hatte. Und wenn er sich nicht gewaltig zusammenriß, waren alle seine Einwände vergebens, weil er sich hoffnungslos in sie verlieben würde. Falls er das tat, konnte seine Verliebtheit sie alle das Leben kosten.
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Die im Hausflur schrillende Türklingel riß Harry abrupt aus seinem Wachtraum. Er drehte sich um. Auch Elena wirkte besorgt. In ihr Schweigen hinein schrillte die Klingel erneut.
Sie hörten rasche Schritte, als Véronique zur Türsprechanlage lief.
Sie drückte auf die Sprechtaste, stellte eine kurze Frage, hörte zu und betätigte dann den Türöffner, um den Besucher einzulassen.
»Wer ist das?« Harry trat hinter ihr in die Diele. Elena folgte ihm.
Véronique sah auf.
»Besuch für Ihren Bruder«, sagte sie ruhig, bevor sie ihre Wohnungstür öffnete.
»Wer weiß überhaupt, daß er hier ist?«
Harry hörte Schritte die Treppe heraufkommen. Es mußte ein Mann sein; für eine Frau waren sie zu schwer. Wer war das? Der blonde Mann? Hatten die Patres aus Bellagio einen Deal mit der Schweizer Polizei abgeschlossen, die jetzt einen Kriminalbeamten herschickte, der sich Véroniques Gäste ansehen sollte? Warum auch nicht? Die Patres waren arm, und für Hinweise, die zur Ergreifung der Flüchtigen führten, war eine hohe Belohnung ausgesetzt. Die Patres durften das Geld vielleicht nicht nehmen, aber Véronique konnte es natürlich kassieren und sie heimlich daran beteiligen.
Harry sah sich nach Elena um und nickte wortlos in Richtung Treppe. Sie verstand sofort, was er meinte, und huschte an ihm vorbei nach oben, wo Danny schlief.
Die Schritte wurden lauter. Der Unbekannte war schon fast im ersten Stock angelangt. Harry wollte sich an Véronique vorbeidrängen, um die Wohnungstür zu schließen.
»Nein, das ist schon in Ordnung«, hielt Véronique ihn zurück.
Auf der Treppe tauchte der Unbekannte auf, ein einzelner Mann, der im Schatten nur undeutlich zu sehen war. Nicht der Blonde, sondern ein größerer Mann in Jeans und einem leichten Pullover. Dann kam er auf die Wohnungstür zu, und Harry sah seine schwarzen Locken und die vertrauten dunklen Augen hinter einer schwarzen Hornbrille.
Pater Bardoni.
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110
Mutter Oberin Carmela Fenti war eine zierliche kleine Frau von dreiundsechzig Jahren. Ihre Augen blitzten humorvoll, aber aus ihrem Blick sprach zugleich tiefe Besorgnis. Roscani gegenüber, der bei ihr in ihrem beengten, nüchtern eingerichteten Büro im ersten Stock des St.-Bernhard-Krankenhauses in Siena saß, äußerte sie diese Sorge ebenso offen wie schon gegenüber der hiesigen Polizei. Sie berichtete, am Montag, dem 6. Juli, habe am frühen Abend Schwester Maria Cupini, die Pflegedienstleiterin des Franziskanerinnen-Krankenhauses St. Cäcilia in Pescara, angerufen und ihr von einem Iren erzählt, der bei einem Verkehrsunfall schwer verletzt worden sei. Der Ärmste habe Knochenbrüche, Verbrennungen und eine Gehirnerschütterung erlitten. Schwester Cupini hatte im Augenblick nicht genug Pflegepersonal – ob die Mutter Oberin ihr vielleicht aushelfen könne?
Ja, sie konnte. Und damit war die Sache für Mutter Fenti erledigt gewesen, bis dann die Polizei zu ihr gekommen war. Es war nicht ihre Gewohnheit, die Arbeit ihrer in andere Krankenhäuser entsandten Schwestern zu kontrollieren.
Roscani: Kennen Sie Schwester Cupini persönlich?
Mutter Fenti: Nein.
Roscani: Mutter Oberin, Schwester Cupini hat der Polizei in Pescara erklärt, sie habe dieses Telefongespräch niemals ge-führt. Weiterhin hat sie ausgesagt – was übrigens durch die Krankenhausakten bestätigt wird –, das St.-Cäcilien-Krankenhaus habe niemals einen Patienten dieser Art aufgenommen. Eingestanden hat sie jedoch, daß ein unbekannter Patient ohne ihr Wissen aufgenommen und ungefähr zweiundsiebzig Stunden lang von eigenem Pflegepersonal betreut worden ist. Allerdings scheint niemand zu wissen, wer ihn aufgenommen hat oder wie die Aufnahme bewerkstelligt worden ist.
Mutter Fenti: Ispettore capo, ich weiß nichts über den Betrieb und die Verwaltung des St.-Cäcilien-Krankenhauses. Ich weiß nur, was man mir am Telefon erzählt hat.
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Roscani: Lassen Sie mich noch hinzufügen, daß der Polizei in Pescara keine
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