Des Teufels Werk
die Bemerkung über das ausländische Kontingent gemacht hätte, wäre ich nie auf die Idee gekommen, dass sich hinter Harwoods Hang zur Gewalt Schlimmeres verbergen könnte, als wir alle ahnten. Und selbst als der Gedanke sich meldete, konnte ich nichts unternehmen. Alan war inzwischen nach Manchester zurückgekehrt, und über die Frauenmorde war schon Gras gewachsen.
Ich sprach mit verschiedenen Kollegen über meinen Verdacht, aber sie reagierten skeptisch. Seit der Festnahme der Jungen war, wie sie betonten, kein Mord mehr verübt worden, und Harwood war einer, der eher mit Fäusten zuschlug als mit einer Machete. Im Wesentlichen schienen sie die Meinung zu vertreten, dass Harwood, mochte er auch noch so widerwärtig sein, die Frauen nicht vergewaltigt hätte, bevor er sie ermordete. »Der schafft's ja noch nicht mal, eine Schwarze
anzufassen«,
sagte ein australischer Kameramann. »Da wird er wohl kaum einer seinen Pinsel reinstecken.«
Ich gab auf. Das einzig Konkrete, was ich gegen Harwood vorbringen konnte, war ein besonders brutaler Angriff auf eine junge Prostituierte in Paddy's Bar. Gut hundert Leute hatten die Sache beobachtet, aber das Mädchen hatte Geld angenommen statt Anzeige zu erstatten, es existierte also noch nicht einmal eine Meldung des Zwischenfalls. Ohnehin war meine Zeit in Sierra Leone fast abgelaufen, ich wollte jetzt nicht noch etwas ins Rollen bringen, was meine Abreise hätte verzögern können. Ich redete mir ein, das Ganze ginge mich nichts an, und ließ Recht und Gerechtigkeit im Mülleimer der Apathie verschwinden.
Bis dahin hatte ich den größten Teil meines Lebens in Afrika verbracht. Ich war hier groß geworden, hatte dann als Reporterin für Zeitungen in Kenia und Südafrika gearbeitet und war nun als Nachrichtenkorrespondentin bei Reuters. Ich kannte diesen Kontinent, und ich liebte ihn, denn hier war ich aufgewachsen, als Tochter eines weißen Farmers in Simbabwe, doch im Sommer 2002 hatte ich genug. Zu viele Berichte über vergessene Kriege, zu viele Berichte über Schiebung und Korruption. Ich hatte vor, zwei Monate in London zu bleiben, wo meine Eltern seit 2001 lebten, und dann für Reuters nach Singapur zu gehen, um über Asien zu berichten.
Am Abend vor meiner endgültigen Abreise aus Freetown, als ich gerade beim Packen war, suchte Harwood mich auf. Manu brachte ihn zu mir, einer der einheimischen Wachposten am Tor, der genug über den Mann wusste, um mich zu fragen, ob er zu meinem Schutz bleiben solle. Ich schüttelte den Kopf, führte das Gespräch mit Harwood jedoch vorsichtshalber auf meiner Veranda, wo alle Nachbarn mich sehen konnten.
Er musterte meine unzugängliche Miene. »Sie mögen mich nicht besonders, stimmt's, Mrs. Burns?«
»Ich mag Sie überhaupt nicht, Mr. Harwood.«
Er gab sich amüsiert. »Weil ich Ihre Bitte um ein Interview nicht weitergeleitet habe?«
»Nein.«
Die kurze Antwort schien ihn zu verblüffen. »Sie sollten nicht alles glauben, was die Leute über mich reden.«
»Das brauche ich gar nicht. Ich habe erlebt, wie Sie sein können.«
Sein Gesicht verschloss sich. »Dann werden Sie klug genug sein, mir nicht in die Quere zu kommen«, murmelte er.
»Verlassen Sie sich lieber nicht darauf. Was wollen Sie von mir?«
Er zeigte mir einen Umschlag und bat mich, ihn in London aufzugeben. In Anbetracht der notorischen Unzuverlässigkeit der Post in Sierra Leone war es ein ganz normales Anliegen. Das Übliche war es in solchen Fällen, das Päckchen offen zu lassen, damit man dem Zoll auf beiden Seiten zeigen konnte, dass es nichts Verbotenes enthielt. Doch Harwood hatte seines verschlossen. Als ich mich weigerte, es mitzunehmen, wenn er nicht bereit sei, mir den Inhalt zu zeigen, steckte er es wieder ein.
»Sie werden eines Tages noch mal auf meine Gefälligkeit angewiesen sein«, sagte er.
»Das bezweifle ich.«
»Und wenn es so weit ist, werden Sie in die Röhre schauen, Mrs. Burns. Ich vergesse so etwas nicht.«
»Ich glaube nicht, dass ich Ihnen noch einmal begegnen werde. Die Situation wird sich also nicht ergeben.«
Er wandte sich zum Gehen. »Verlassen Sie sich lieber nicht darauf.« Es klang wie ein ironisches Echo meiner eigenen Worte. »Die Welt ist kleiner, als man glaubt.«
Während ich ihm nachblickte, dachte ich über den Namen nach, den ich auf dem Umschlag gesehen hatte. ›Mary MacKenzie‹ hatte da gestanden, und in der letzten Zeile der Anschrift ›Glasgow‹. Plötzlich erinnerte ich mich wieder. Ja, ich
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