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Des Todes Dunkler Bruder

Des Todes Dunkler Bruder

Titel: Des Todes Dunkler Bruder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jeff Lindsay
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können, dass es sich hier aber vermutlich um einen Nachahmungstäter handelte. Die Zeitung hatte ihre eigenen Schlüsse gezogen – noch etwas, bei dem sie selten zimperlich sind – und fragte sich nun laut, ob der in Haft sitzende angesehene Gentleman Mr Daryll Earl McHale wohl tatsächlich der Killer war? Oder befand sich der eigentliche Mörder noch auf freiem Fuß, wie der Anschlag auf die öffentliche Sicherheit von gestern Abend vermuten ließ? Weil, wie die Zeitung sorgfältig herausstellte, man doch kaum glauben konnte, dass zwei solche Killer gleichzeitig ihr Unwesen trieben. Die Begründungen waren durchaus vernünftig, und mir drängte sich der Gedanke auf, dass die ganze Sache mittlerweile schon vorüber wäre, wenn sie ebenso viel Energie und mentale Stärke dem Versuch gewidmet hätten, den Fall aufzuklären.
    Aber selbstverständlich war es eine hochinteressante Lektüre. Und natürlich kam ich ins Grübeln. Gute Güte, war es wirklich möglich, dass diese wilde Bestie sich noch auf freiem Fuß befand? War irgendjemand sicher?
    Das Telefon klingelte. Ich sah auf die Wanduhr; es war 6:45 Uhr. Das konnte nur Deborah sein.
    »Ich lese es gerade«, sagte ich in den Hörer.
    »Du hast größer gesagt«, meinte Deborah. »Spritziger.«
    »Und das ist es nicht?«, erkundigte ich mich unschuldig.
    »Es ist nicht mal eine Nutte«, sagte sie. »Irgendein Teilzeit-hausmeister von der Ponce Junior High, der in einem Rohbau an der Old Cutler zerstückelt wurde. Was soll das, Dexter?«
    »Du hast gewusst, dass ich nicht vollkommen bin, oder, Deborah?«
    »Er passt nicht mal ins Muster – was ist mit der Kälte, von der du gesprochen hast? Was ist mit dem engen Raum passiert?«
    »Wir sind in Miami, Deb. Hier wird alles geklaut.«
    »Es handelt sich nicht mal um einen Nachahmungstäter«, maulte sie. »Keine Übereinstimmung mit den anderen. Selbst LaGuerta hat das kapiert. Sie hat es bereits der Presse mitgeteilt. Verdammt, Dexter. Ich riskier hier meinen Hintern und dann ist das nur so ein Zufallsmord oder eine Drogensache.«
    »Es scheint nicht besonders gerecht, mir die Schuld daran zu geben.«
    »Gottverdammt, Dex«, sagte sie und legte auf.
    Das Frühstücksfernsehen verschwendete volle neunzig Sekunden auf die schockierende Entdeckung der verwüsteten Leiche. Channel 7 hatte die besten Adjektive.
    Aber niemand wusste mehr als die Zeitungen. Sie sendeten Zorn, und die grimmige Erwartung einer Katastrophe schaffte es sogar in den Wetterbericht, aber ich bin überzeugt, dass das zum größten Teil an dem Mangel an Bildern lag.
    Ein weiterer wunderschöner Tag in Miami. Zerstückelte Leichen und Niederschlagswahrscheinlichkeit am Nachmittag. Ich zog mich an und fuhr zur Arbeit.
    Zugegeben, für meinen frühen Aufbruch ins Büro hatte ich wenig edle Gründe, und ich motzte sie auf, indem ich an einer Bäckerei hielt. Ich kaufte zwei Berliner, eine Apfeltasche und eine Zimtschnecke in der Größe meines Ersatzreifens. Ich aß die Apfeltasche und einen der Berliner, während ich vergnügt durch den mörderischen Verkehr steuerte. Ich weiß auch nicht, warum ich straflos so viel Schmalzgebäck essen kann. Ich nehme weder zu noch bekomme ich Pickel, und obwohl das ungerecht scheint, kann ich mich wirklich nicht beklagen. Ich gehöre zu den Gewinnern der Genlotterie: schneller Stoffwechsel, Größe und Kraft, die mir sämtlich bei meinem Hobby von Nutzen sind. Und man hat mir gesagt, ich sei kein übler Anblick, was meiner Ansicht nach als Kompliment gemeint war.
    Außerdem benötige ich nicht viel Schlaf, was mir an diesem Morgen sehr gelegen kam. Ich hatte gehofft, noch vor Vince Masuoka bei der Arbeit einzutreffen, und scheinbar hatte es geklappt. Als ich, mit meiner weißen Papiertüte in der Hand zur Tarnung, in das Gebäude kam, war sein Büro dunkel – aber mein Besuch hatte nichts mit Doughnuts zu tun. Ich durchsuchte rasch seinen Arbeitsplatz auf der Suche nach dem verräterischen Beweiskarton mit der Aufschrift »JAWORSKI« und dem Datum von gestern.
    Ich fand ihn und nahm hastig ein paar Gewebeproben heraus. Es waren reichlich da. Ich streifte ein Paar Latexhandschuhe über und innerhalb weniger Augenblicke hatte ich die Proben auf meinen sauberen Reagenzträger gepresst. Mir war bewusst, wie dumm es war, ein weiteres Risiko einzugehen, aber ich musste meinen Reagenzträger haben.
    Ich hatte ihn gerade in einem Ziploctütchen verstaut, als ich ihn hinter mir hereinkommen hörte. Hastig legte ich alles an

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