Des Todes Dunkler Bruder
übel, leicht schwindelig, ich war unsicher, und das Gefühl, Gefühle zu haben, gefiel mir überhaupt nicht. Ich holte drei Mal tief Luft, richtete mich auf und schlug die Augen auf.
Sergeant Doakes stand nur einen Meter von mir entfernt im Treppenhaus, einen Fuß auf der untersten Stufe, und starrte mich an. Sein Gesicht war eine geschnitzte Maske neugieriger Feindseligkeit, wie ein Rottweiler, der einem den Arm ausreißen möchte, aber dennoch milde daran interessiert ist, herauszufinden, wie man wohl schmecken wird. Und in seinem Ausdruck lag etwas, das ich zuvor noch in keinem anderen Gesicht gesehen hatte, außer in meinem Spiegel. Es war eine umfassende und bleibende Leere, die die zeichentrickhafte Scharade menschlichen Lebens durchschaut und die Bildunterschrift gelesen hatte.
»Mit wem reden Sie?«, fragte er mich und zeigte dabei sein strahlendes, gieriges Gebiss. »Haben Sie jemanden da drin?«
Seine Worte und die wissende Art, in der er sie sprach, schnitten direkt durch mich hindurch und ließen meine Eingeweide zu Brei werden. Warum hatte er diese Worte gewählt? Was meinte er mit »da drin«? War es möglich, dass er über den Dunklen Passagier Bescheid wusste? Unmöglich – es sei denn … Doakes hatte mich erkannt.
So wie ich die Letzte Pflegerin erkannt hatte.
Das Dunkle Innere schickt seinen Ruf über die Leere, wenn es seine eigene Art erblickt. Verbarg auch Sergeant Doakes einen Passagier? Wie konnte das möglich sein? Ein Sergeant der Mord-kommission ein Dexter-düsteres Raubtier? Undenkbar! Aber welche andere Erklärung konnte es geben? Mein Kopf war leer, und ich starrte ihn viel zu lange einfach nur an. Er starrte zurück.
Endlich schüttelte er den Kopf, ohne den Blick von mir abzuwenden. »An einem der nächsten Tage«, sagte er. »Nur du und ich.«
»Ich werde darauf zurückkommen«, erwiderte ich mit aller Heiterkeit, die ich aufbringen konnte. »Wenn Sie mich in der Zwischenzeit entschuldigen würden …«
Er stand einfach da, blockierte das Treppenhaus und starrte mich an. Aber endlich nickte er andeutungsweise und machte mir Platz. »An einem der nächsten Tage«, wiederholte er, als ich mich an ihm vorbei auf die Treppe zwängte.
Der Schock dieser Begegnung hatte mich unvermittelt aus meinem wehleidigen Gegreine und meinem Bammel gerissen. Selbstverständlich beging ich keine unbewussten Morde. Abgesehen von der absoluten Lächerlichkeit dieser Vorstellung wäre es eine unvorstellbare Verschwendung, zu morden und sich dann nicht zu erinnern. Es musste eine andere Erklärung geben, etwas Einfaches und Logisches. Sicherlich war ich nicht der einzige in Hörweite, der zu dieser Art von Kreativität fähig war. Immerhin befand ich mich in Miami, umgeben von so gefährlichen Geschöpfen wie Sergeant Doakes.
Ich lief rasch die Treppe hoch, das Adrenalin strömte durch meine Adern, und ich fühlte mich fast wieder wie ich selbst. In meinem Gang lag ein gewisses Federn, das nur zum Teil meiner Flucht vor dem guten Sergeant zu verdanken war. Mittlerweile war ich äußerst begierig, den letzten Anschlag auf das öffentliche Wohlergehen zu besichtigen – natürliche Neugier, mehr nicht. Ich würde gewiss keine Fingerabdrücke von mir entdecken.
Ich erklomm die Stufen zum zweiten Stock. Einige der Rahmen befanden sich schon an Ort und Stelle, aber der größte Teil des Stockwerks hatte keine Zwischenwände.
Als ich vom Absatz in den Hauptkorridor trat, sah ich Angel-keine-Verwandtschaft bewegungslos in einer Ecke kauern. Er hatte die Ellbogen auf die Knie gestützt, das Gesicht in den Händen geborgen und starrte einfach vor sich hin. Ich blieb stehen und sah ihn erstaunt an.
Es war eines der bemerkenswertesten Dinge, die ich jemals gesehen hatte, ein Spurensicherer der Mordkommission von Miami, der angesichts dessen, was er an einem Tatort vorgefunden hatte, zur Unbeweglichkeit erstarrt war.
Und was er gefunden hatte, war noch interessanter.
Es war eine Szene aus einem düsteren Melodram, ein Vaudeville für Vampire. Genau wie in dem Rohbau, in dem ich Jaworski auseinander genommen hatte, lag dort ein Stapel in Folie geschweißter Wandplatten. Man hatte ihn an die Mauer geschoben, und er wurde von Baulampen und einigen Schein-werfern beleuchtet, die die Spurensicherung mitgebracht hatte.
Oben auf den Wandplatten stand, wie ein Altar, eine tragbare schwarze Werkbank. Sie war genau in der Mitte platziert, damit das Licht voll darauf traf – oder eher, damit die Lampen das
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