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Des Todes Dunkler Bruder

Des Todes Dunkler Bruder

Titel: Des Todes Dunkler Bruder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jeff Lindsay
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erleuchteten, was oben auf der Werkbank lag.
    Selbstverständlich der Kopf einer Frau. In ihrem Mund steckte der Rückspiegel irgendeines Autos oder Lasters, der ihr Gesicht zu einem beinah komischen Ausdruck der Überraschung verzerrte.
    Darüber, etwas weiter links, befand sich ein weiterer Kopf. Der Körper einer Barbiepuppe war unter dem Kinn befestigt worden, so dass es wie ein riesiger Kopf mit einem winzigen Körper aussah.
    Auf der rechten Seite war der dritte Kopf. Er war säuberlich an der Wandplatte befestigt, die Ohren waren mit Wandschrauben angeheftet worden. Die Ausstellung wurde von keinerlei Blutlachen verunziert. Die drei Köpfe waren blutleer.
    Ein Spiegel, eine Barbie und eine Wandplatte.
    Drei Morde. Knochentrocken.
    Hallo Dexter.

    Es bestand nicht der geringste Zweifel. Die Barbiepuppe bezog sich eindeutig auf die in meinem Gefrierfach. Der Spiegel verwies auf den Kopf auf dem Causeway, und die Wandplatte stand für Jaworski. Entweder war jemand so tief in meinen Verstand eingedrungen, dass er ebenso gut ich sein könnte, oder ich war es wirklich gewesen.
    Ich holte langsam und keuchend Luft. Ich war mir ziemlich sicher, dass mich andere Gefühle bewegten als ihn, aber ich hätte mich am liebsten neben Angel-keine-Verwandtschaft auf den Boden gekauert. Ich brauchte eine Auszeit, um mich daran zu erinnern, wie man denkt, und der Boden schien eine großartige Stelle, um damit anzufangen. Stattdessen bewegte ich mich langsam auf den Altar zu, nach vorn gezogen, als liefe ich auf gut geölten Schienen. Ich konnte weder stehen bleiben noch langsamer gehen oder sonst etwas tun, außer immer näher heranzugehen. Ich konnte nur schauen, staunen und mich darauf konzentrieren, die Luft an die richtigen Stellen zu befördern und wieder auszustoßen. Und allmählich wurde mir bewusst, dass auch in meinem gesamten Umfeld niemand glauben konnte, was er sah.
    Im Verlauf meiner Arbeit – ganz zu schweigen von meinem Hobby – hatte ich die Schauplätze von hunderten Morden gesehen, einige von ihnen so grauenhaft und bestialisch, dass sogar ich schockiert war. Und bei jedem einzelnen dieser Morde war die Mannschaft der Polizei von Miami eingetroffen und hatte entspannt und professionell die Arbeit aufgenommen. Bei jedem einzelnen hatte jemand Kaffee geschlürft, nach pasteles oder Doughnuts geschickt, Witze gerissen oder getratscht, während er das Blut aufwischte. An jedem einzelnen dieser Mordschauplätze hatte ich eine Gruppe von Menschen gesehen, die von dem Gemetzel so vollkommen unbeeindruckt war, als befände sie sich bei einem Bowlingturnier der Kirchengemeinde.
    Bis jetzt.
    Dieses Mal war der riesige kahle Betonraum unnatürlich still. Die Beamten und Techniker standen schweigend zu zweit oder dritt beieinander, als hätten sie Angst allein zu sein, und schauten einfach auf das, was am anderen Ende des Raums aufgebaut war. Wenn jemand unabsichtlich ein leises Geräusch machte, zuckten alle zusammen und funkelten den Verursacher wütend an. Die ganze Szene war so absolut komisch befremdlich, dass ich sicherlich laut gelacht hätte, wenn ich nicht wie all die anderen Waschlappen mit Starren beschäftigt gewesen wäre.
    Hatte ich das getan?
    Es war wunderschön – auf schauderhafte Weise natürlich. Aber dennoch, das Arrangement war perfekt, bezwingend, wunderschön blutleer. Es verriet großen Esprit und einen wundervollen Sinn für Komposition.
    Jemand hatte sich großen Mühen unterzogen, um daraus ein wahres Kunstwerk zu machen. Jemand mit Stil, Talent und einem morbiden Sinn für Verspieltheit.
    In meinem gesamten Leben war mir nur ein einziger solcher Jemand begegnet.
    War dieser Jemand womöglich der tief träumende Dexter?

20
    I ch stellte mich so dicht wie möglich vor das Tableau, ohne es zu berühren und schaute einfach. Noch war der kleine Altar nicht von der Spurensicherung eingestäubt worden; noch hatte man ihn nicht angerührt, obwohl ich annahm, dass bereits Aufnahmen gemacht worden waren. Und oh, wie sehr es mich nach einem dieser Bilder verlangte, um es mit nach Hause zu nehmen. In Posterformat und in voller, blutleerer Farbe.
    Falls ich es selbst getan hatte, war ich ein wesentlich besserer Künstler, als ich jemals vermutet hatte. Selbst aus dieser Nähe schienen die Köpfe im Raum zu schweben, über die vergängliche Erde in einer zeitlosen, blutleeren Parodie des Paradieses erhoben, buchstäblich losgelöst von ihren Körpern …
    Ihre Körper: Ich sah mich um. Ich konnte

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