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Des Todes Dunkler Bruder

Des Todes Dunkler Bruder

Titel: Des Todes Dunkler Bruder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jeff Lindsay
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Hals geschlungen und umarmte mich. »Ich weiß es wirklich zu schätzen«, sagte sie. »Ich bin Ihnen wirklich sehr – dankbar.« Und sie rieb ihren Körper auf eine Weise an meinem, die man nur als einladend bezeichnen konnte. Es stand doch sicher außer Frage – ich meine, sie war doch eine Hüterin der öffentlichen Moral, und hier, direkt in der Öffentlichkeit –, und selbst in der Zurückgezogenheit eines Bankgewölbes wäre ich nicht daran interessiert gewesen, ihren Körper an meinem zu spüren.
    Die Tatsache gar nicht zu erwähnen, dass ich ihr soeben ein Seil in der Hoffnung überreicht hatte, sie möge sich daran aufhängen; wohl kaum eine Sache, die man feierte, indem man – also wirklich, war denn alle Welt verrückt geworden? Was ist los mit den Menschen? Denken sie denn nie an etwas anderes? Mit einem Gefühl aufkommender Panik versuchte ich mich von ihr zu lösen. »Bitte Detective …«
    »Nenn mich Migdia«, sagte sie, umklammerte mich fester, rieb sich stärker an mir. Sie griff mit der Hand nach unten an meine Hose, und ich sprang zurück. Das Gute daran war, dass es mich von der amourösen Dame befreite. Leider wurde sie dabei zur Seite geschleudert, stieß mit der Hüfte gegen den Schreibtisch, stolperte über ihren Stuhl und landete unsanft auf dem Fußboden.
    »Ich, äh … ich muss wirklich wieder an die Arbeit«, stammelte ich. »Ich hab was Wichtiges, äh …« Ich konnte jedoch an nichts Wichtigeres denken, als um mein Leben zu rennen, deshalb schob ich mich aus dem Kabuff und ließ sie hinter mir her starrend zurück.
    Es schien kein besonders freundliches Starren zu sein.

19
    A ls ich erwachte, stand ich am Waschbecken, das Wasser lief. Ich erlebte einen Augenblick völliger Panik, war vollkommen orientierungslos, mein Herz raste, meine verkrusteten Lider flatterten bei dem Versuch, mich zurechtzufinden. Der Ort war falsch. Das Waschbecken sah nicht richtig aus. Ich war nicht einmal sicher, wer ich war. Im Traum hatte ich vor meinem Waschbecken mit laufendem Wasserhahn gestanden, aber es war nicht dieses Waschbecken gewesen. Ich hatte meine Hände geschrubbt, mit der Seife daran gerubbelt, meine Haut von jedem noch so mikroskopisch kleinen Fleck schauderhaften roten Bluts gereinigt, mit Wasser, das so heiß war, dass meine Haut rosa wurde, frisch und antiseptisch. Und die Hitze des Wassers war nach der Kälte des Raums, den ich soeben verlassen hatte, umso schmerzhafter; dem Mordzimmer, dem Raum trockenen und sorgsamen Schneidens.
    Ich drehte den Wasserhahn ab und stand einen Augenblick lang schwankend vor dem kühlen Becken. Alles hatte viel zu real gewirkt, zu wenig wie irgendein Traum, an den ich mich erinnern konnte. Und ich konnte mich so deutlich an den Raum erinnern. Ich konnte ihn vor mir sehen, wenn ich die Augen schloss.
    Ich stehe über der Frau, beobachte ihr Zucken und Aufbäumen gegen die Fesseln, die sie halten, sehe, wie das Grauen in ihren trüben Augen aufsteigt, sehe, wie es zu Hoffnungslosigkeit verblüht, und ich spüre, wie eine große Welle des Staunens mich überspült, meinen Arm hinunterrinnt bis zu dem Messer. Und als ich das Messer hebe, um anzufangen – - doch das ist nicht der Anfang. Unter dem Tisch liegt eine andere, bereits trocken und sauber eingewickelt.
    Und in der gegenüberliegenden Ecke ist noch eine, die in hoffnungslosem, schwarzem Entsetzen darauf wartet, bis die Reihe an ihr ist, anders als alles, was ich bisher erlebt habe, doch irgendwie vertraut und notwendig, diese Aufgabe aller anderen Möglichkeiten, so vollständig, dass es mich mit sauberer und reiner Energie überspült, die verführerischer ist, als – Drei.
    Diesmal sind es drei.
    Ich schlug die Augen auf. Der Spiegel zeigte mein Bild.
    Hallo Dexter. Geträumt, alter Junge? Spannend, nicht wahr? Drei, he? Aber nur ein Traum. Nicht mehr. Ich lächelte mich an. Probierte meine Gesichtsmuskulatur aus, nicht überzeugt. Und so hinreißend es auch gewesen war, jetzt war ich wach, und mir war außer einem Kater und feuchten Händen nichts geblieben.
    Was ein angenehmes Zwischenspiel meines Unterbewusstseins hätte sein sollen, brachte mich zum Zittern, verunsicherte mich. Die Vorstellung, mein Verstand könnte sich aus dem Staub gemacht und es mir überlassen haben, die Rechnung zu begleichen, erfüllte mich mit Entsetzen. Ich dachte an die drei sorgsam vorbereiteten Playmates und wollte zu ihnen zurückkehren und fortfahren. Ich dachte an Harry und wusste, dass ich es nicht durfte.

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