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Des Todes Dunkler Bruder

Des Todes Dunkler Bruder

Titel: Des Todes Dunkler Bruder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jeff Lindsay
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war fast ausgelassen, wie ein Schulmädchen, das beobachtet, wie der Kapitän der Footballmannschaft seine Nervosität niederkämpft, um sie um eine Verabredung zu bitten. Du meinst mich? Mich unbedeutendes Persönchen? O Himmel, wirklich? Entschuldigung, ich muss mit den Wimpern klimpern.
    Ich holte tief Luft und versuchte daran zu denken, dass ich ein braves Mädchen war und solche Dinge nicht tat.
    Aber ich wusste, dass er es tat, und ich wollte mit ihm ausgehen. Bitte, Harry?
    Auch abgesehen von dem Wunsch, einfach interessante Erfahrungen mit einem neuen Freund zu machen, musste ich diesen Killer finden. Ich musste ihn sehen, mit ihm reden, mir beweisen, dass er real war und dass – Dass was?
    Dass er nicht ich war?
    Dass ich nicht derjenige war, der so interessante, schreckliche Dinge tat?
    Warum sollte ich das annehmen? Es war mehr als dumm; es war der Aufmerksamkeit meines einstmals so stolzen Verstandes nicht wert. Außer – nun, da die Vorstellung einmal darin herumspukte, konnte ich den Gedanken nicht dazu bringen, sich zu setzen und sich zu benehmen. Was, wenn ich wirklich er war? Was, wenn ich diese Dinge irgendwie getan hatte, ohne es zu wissen? Unmöglich natürlich, absolut unmöglich, aber … Ich erwachte am Waschbecken und wusch mir nach einem »Traum« Blut von den Händen, in dem ich meine Hände vollständig und begeistert mit Blut beschmiert hatte, während ich Dinge tat, von denen ich gewöhnlich nur träumte. Irgendwoher kannte ich Einzelheiten dieser Morde, Einzelheiten, die ich unmöglich wissen konnte, es sei denn …
    Es sei denn gar nichts. Schluck ein Beruhigungsmittel, Dexter. Fang noch mal von vorn an. Atme, du lächerliches Geschöpf; rein mit der guten Luft, raus mit der schlechten. Es war nicht mehr als ein weiteres Symptom meiner seit neuestem auftretenden Geistesschwäche. Die Belastungen meiner anständigen Lebensführung lösten bei mir eine präsenile Phase aus. Angenommen, ich hatte in den letzten Wochen mehrere Augenblicke menschlicher Dummheit durchlitten. Na und? Das war kein zwingender Beweis für meine Menschlichkeit.
    Oder dass ich im Schlaf kreativ gewesen war.
    Nein, natürlich nicht. Ganz richtig; es bedeutete nichts dergleichen. Also, äh – was bedeutete es dann? Ich war davon ausgegangen, dass ich einfach verrückt wurde, einige Tassen aus meinem Schrank in den Wertmüll warf. Sehr tröstlich – aber wenn ich zu dieser Annahme bereit war, warum nicht die Möglichkeit zugeben, dass ich eine Reihe entzückender kleiner Überfälle begangen hatte, ohne mich daran zu erinnern, außer in bruchstückhaften Träumen? War Geisteskrankheit wirklich leichter zu akzeptieren als unterbewusstes Handeln? Alles in allem handelte es sich einfach um eine erweiterte Form des Schlafwandelns. »Schlafmorden.«
    Wahrscheinlich weit verbreitet. Warum nicht? Ich räumte bereits regelmäßig den Fahrersitz meines Bewusstseins, wenn der Dunkle Passagier eine Vergnügungsfahrt unternehmen wollte. Von hier war es kein großer Sprung bis zu dem Einverständnis, dass es sich um dieselbe Sache handelte, nur in leicht veränderter Form. Der Dunkle Passagier lieh sich einfach den Wagen, während ich schlief.
    Welche Erklärung konnte es sonst geben? Dass ich im Schlaf astral projizierte und zufällig die gleiche Wellenlänge wie der Killer besaß, weil wir aus einem früheren Leben miteinander verbunden waren? Klar, das klang überzeugend – wenn wir in Südkalifornien wären. In Miami schien es ein wenig dünn. Falls ich also diesen Rohbau betrat und zufällig über drei Leichen stolperte, deren Aufbereitung mir bekannt vorkam, musste ich die Möglichkeit in Betracht ziehen, dass ich die Botschaft geschrieben hatte. Klang das nicht wesentlich überzeugender als die Vorstellung, ich sei eine Art unbewusster Hotline?
    Ich hatte die Außentreppe des Gebäudes erreicht. Ich blieb dort einen Moment an die nackte Betonwand gelehnt stehen und schloss die Augen. Sie war rau und etwas kühler als die Luft. Ich rieb meine Wange daran, ein Gefühl irgendwo zwischen Lust und Schmerz.
    Gleichgültig, wie sehr ich mir auch wünschte, hineinzugehen und in Augenschein zu nehmen, was es zu sehen gab, gleichzeitig wollte ich es auf keinen Fall sehen.
    Sprich mit mir, flüsterte ich dem Dunklen Passagier zu.
    Verrat mir, was du getan hast.
    Aber selbstverständlich erhielt ich keine Antwort, abgesehen von dem üblichen distanziert-kühlen Kichern.
    Und das war wirklich keine Hilfe. Mir war ein bisschen

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