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Des Todes Dunkler Bruder

Des Todes Dunkler Bruder

Titel: Des Todes Dunkler Bruder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jeff Lindsay
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schuldigen Freundes liegen lassen und hinausgehen, in dem Wissen, dass die Schuld den Abzug drückte und der Stadt die Kosten einer Verhandlung ersparte. In Harrys Welt konnte ein Mann mit dieser Art von Schande nicht weiterleben.
    Aber wie Harry sehr genau gewusst hatte, war seine Welt schon lange untergegangen – und ich hatte weder ein Gewissen noch empfand ich Scham oder Schuld.
    Alles, was ich hatte, war eine CD mit ein paar Bildern darauf. Und natürlich ergaben diese Bilder noch weniger Sinn als ein Gewissen.
    Es musste eine Erklärung geben, die nichts mit einem Dexter zu tun hatte, der nachts im Schlaf einen Transporter durch Miami fuhr. Sicher, die meisten Fahrer schienen das zu schaffen, aber sie waren zumindest zeitweise wach, wenn sie losfuhren, oder? Und hier war ich, mit klaren Augen und völlig bei mir und nicht im Mindesten die Sorte Typ, die durch die Stadt zog und unbewusst mordete; nein, ich war die Art Typ, die jeden Moment davon hellwach genießen wollte. Und um zum ausschlaggebenden Punkt zu kommen, gab es noch die Nacht auf dem Causeway. Es war physisch unmöglich, dass ich den Kopf gegen meinen eigenen Wagen geworfen hatte, oder?
    … es sei denn, ich machte mich selber glauben, dass ich an zwei Orten gleichzeitig sein konnte, was eigentlich eine Menge Sinn ergab – angesichts der Tatsache, dass die einzige andere Lösung, die mir dazu einfiel, darin bestand, dass ich nur glaubte, ich hätte dort in meinem Wagen gesessen und jemanden beobachtet, der einen Kopf warf, während in Wirklichkeit ich den Kopf gegen mein Auto geworfen hatte und dann …
    Nein. Lächerlich. Ich konnte die letzten Bruchstücke meines einstmals so stolzen Verstands nicht anweisen, ein solches Märchen zu akzeptieren. Es musste eine ganz einfache, völlig logische Erklärung geben, und ich würde sie finden, und auch wenn ich klang wie ein Mann, der sich selbst zu überzeugen versucht, dass nichts unter dem Bett liegt, sprach ich es laut aus.
    »Es gibt eine einfache, logische Erklärung«, sagte ich mir. Und weil man nie weiß, wer alles zuhört, fügte ich hinzu: »Und unter dem Bett ist nichts.«
    Aber wieder einmal bestand die einzige Erwiderung in einem bedeutungsvollen Schweigen des Dunklen Passagiers.
    Trotz der üblichen unbeschwerten Mordlust der anderen Fahrer fand ich auf der Fahrt nach Hause keine Antwort. Oder um vollkommen ehrlich zu sein, ich fand keine Antworten, die einen Sinn ergaben. Dumme Antworten fand ich jede Menge. Aber sie gingen alle von der gleichen zentralen Voraussetzung aus, die lautete, dass im Schädel unseres Lieblingsungeheuers nicht alles in Ordnung war, und das fand ich schwer zu akzeptieren.
    Vielleicht lag es daran, dass ich mich nicht verrückter fühlte als sonst auch. Ich vermisste keine grauen Zellen, ich schien nicht langsamer oder befremdlicher zu denken, und bis jetzt hatte ich, soweit ich wusste, keine Unterhaltungen mit unsichtbaren Freunden geführt.
    Außer im Schlaf natürlich – aber zählte das wirklich? Waren wir im Schlaf nicht alle verrückt? Was war Schlaf denn anderes als ein Prozess, bei dem wir unsere geistige Instabilität in ein dunkles unterbewusstes Loch schütteten und auf der anderen Seite mit der Bereitschaft wieder herauskamen, Getreideflocken statt der Nachbarskinder zu verspeisen.
    Und sah man von meinen Träumen ab, ergab alles Übrige Sinn: Ein anderer hatte auf dem Causeway den Kopf nach mir geworfen, eine Barbie in meinem Apartment deponiert und die ganzen Leichen auf diese bestechende Weise arrangiert. Ein anderer, nicht ich. Ein anderer als der teure, düstere Dexter. Und dieser andere war endlich gefangen, direkt hier, auf den Bildern dieser CD. Und ich würde mir die Bilder ansehen und ein für alle Mal beweisen, dass …
    … dass es sehr danach aussah, als könnte ich der Killer sein?
    Gut, Dexter. Ausgezeichnet. Ich habe dir doch gesagt, es gibt eine logische Erklärung. Ein anderer, der eigentlich ich war. Natürlich. Das war wundervoll stimmig, nicht?
    Ich kam zu Hause an und schlich vorsichtig in mein Apartment. Niemand schien auf mich zu warten. Es gab selbstverständlich auch keinen Anlass dazu. Aber die Gewissheit, dass der die Metropole terrorisierende Erzfeind wusste, wo ich lebte, war ein wenig beunruhigend.
    Er hatte unter Beweis gestellt, dass er die Art Ungeheuer war, die zu allem fähig war – er konnte außerdem jederzeit wiederkommen und noch mehr Puppenteile zurücklassen. Besonders wenn er ich war.
    Was er natürlich

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