Des Todes Liebste Beute
die Opfer niemals vergessen konnten. Niemand, der gesehen hatte, was er gesehen hatte, konnte sie ernsthaft als kalt oder eisig bezeichnen.
»Ja, das ist wirklich unfair.« Seine Stimme war ruhig. Weit ruhiger, als er sich fühlte. Kristen Mayhew hatte etwas in ihm geweckt, das er seit Jahren nicht mehr empfunden hatte – den Wunsch nämlich, einen Menschen zu beschützen, auf ihn aufzupassen und dafür zu sorgen, dass niemand ihm etwas antun konnte.
Der Killer empfindet dasselbe.
Die Erkenntnis traf ihn so plötzlich, dass sein Puls sich beschleunigte.
Deshalb hat er sie als Empfänger seiner »Geschenke« auserkoren, deshalb beobachtet er sie in ihrem Haus.
»Der Killer kennt sie«, sagte er.
Mia sah ihn verdutzt an. »Das wissen wir schon.«
»Nein, er
kennt
sie. Er hat gesehen, wie sie mit den Leuten, den Opfern umgeht.« Ihr Mitgefühl. Die Pein. »Und er macht ihr keine Vorwürfe.«
»Was meinst du denn damit?«
Abe beugte sich angespannt vor. »Ich habe sie mit all den Opfern und ihren Familien gesehen. Im besten Fall sind diese Leute distanziert, im schlimmsten begegnen sie ihr rundheraus feindselig.«
»Wie Stan Dorsey.«
»Genau. Kein Einziger benahm sich ihr gegenüber herzlich oder sogar bewundernd.« Nicht einmal Les Littleton, der ihr eigentlich zu Dank verpflichtet gewesen wäre, sie jedoch in seinem Selbstmitleid für sein Elend verantwortlich machte.
Mias Augen leuchteten auf. »Also hat sie ihn entweder nicht vertreten, oder sie haben nicht verloren.«
»Doch, er hat verloren«, sagte Abe, »ob Kristen ihn nun vertreten hat oder nicht. Vergiss nicht, was Westphalen gemeint hat. Und mein Gefühl sagt mir, dass er mit Kristen auf irgendeine Weise verbunden ist – sie also nicht ausschließlich in den Medien gesehen hat. Er kennt sie persönlich, dessen bin ich mir sicher. Es wäre gut, wenn wir ein Opfer finden könnten, das zwar vor Gericht verloren hat, aber dafür nicht sie verantwortlich macht.«
Mia legte nachdenklich den Kopf schief. »Sie hat uns eine Liste der Fälle erstellt, die sie verloren hat. Vielleicht hat sie ja in ihrer privaten Datenbank bei jedem Fall den Grad der Kundenzufriedenheit vermerkt.«
Abe nahm den Telefonhörer auf. »Ich weiß, wie wir das herausfinden können.«
Freitag, 20. Februar, 14.00 Uhr
Der Mann, der ursprünglich das Haus gebaut hatte, war passionierter Trompeter gewesen. Seine Frau hatte seine musikalischen Talente nicht zu würdigen gewusst und darauf bestanden, dass er entweder seine Leidenschaft aufgab oder das Souterrain schallisolierte.
Behutsam drückte er die Tür hinter sich zu. Sein Glück, dass der Mann seine Trompete so sehr geliebt hatte. Ohne die Isolierung hätte ihn der eine oder andere Nachbar bestimmt schon angezeigt.
Aber jetzt gab es ohnehin keine Geräusche mehr. Skinner war tot. Die Leichenstarre war gekommen und gegangen, und die Glieder des Toten waren schlaff. Er näherte sich ihm und bedauerte, dass man einen Menschen nicht zweimal töten konnte. In Skinners Fall hätte es durchaus hundertmal sein können. Der Bastard hatte viel Geld damit verdient, Verbrecher zu verteidigen, die sich an Unschuldigen vergriffen hatten. Skinners Haus mit den neun Zimmern an der North Shore, seine Luxuslimousinen, die schicken Privatschulen für seine Kinder – alles finanziert mit Blutgeld, alles erkauft mit dem Leiden Unschuldiger.
Er zog seine Pistole aus der Schublade, obwohl er wusste, dass es unmöglich war, jemanden zweimal umzubringen. Er musste sich mit der symbolischen Handlung zufrieden geben. Ohne großes Aufheben richtete er den Lauf der Waffe auf Skinners Stirn.
Dann drückte er ab. Nickte. Geschafft. Und gut dazu.
Nur noch ein paar Kleinigkeiten, um diese Sache abzurunden, dann konnte er wieder in Leas Goldfischglas greifen. Er zog die Handschuhe an und begann, Mr. Skinner aus seinem Armani-Anzug zu helfen. Schließlich würde es dort, wo er nun hinreiste, unbeschreiblich heiß werden.
Freitag, 20. Februar, 14.15 Uhr
K risten stand neben Jack und sah zu, wie Julia das Garn aus Ross Kings Torso zog. Sie hatte ihren Termin hinter sich gebracht und war fast erleichtert hinuntergelaufen, um Kings Obduktion beizuwohnen. Nun – wenn
das
ihr den Kopf nicht wieder frei machen konnte, dann würde es wohl nichts und niemand schaffen.
Auf dem Weg hinunter war sie einem frustrierten Jack begegnet. Er hatte nichts Brauchbares mehr an den Kleidern oder in den Gräbern finden können. Nun erhoffte er sich, durch die
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