Desiderium
ich ihr zu.
Ich erzählte ihr so schnell wie möglich von der Befreiungsaktion, wie wir Lillian retten konnten, bevor Darragh uns überwältigt hatte und wie er Jaron gefoltert hatte. Gelegentlich konnte Alice ein entsetztes Aufkeuchen nicht unterdrücken.
»Bevor er der Sache ein Ende setzen wollte, hat er sich darüber lustig gemacht, dass wir uns ineinander verliebt hätten. Oder besser, dass wir nur glauben ineinander verliebt zu sein, weil wir es mit der Verbindung verwechselt haben.«
»Er hat gesagt, ihr seid verbunden? Du und Jaron? Aber du hast doch Lillian. Wer sagt dir, dass er euch nicht einfach verunsichern wollte? Er hat sie ja offensichtlich nicht mehr alle.«
Ich schüttelte den Kopf. »Es ergibt Sinn. Er ist mir aufgefallen – von Anfang an, er hat mich angezogen. Ich konnte ihn nicht berühren, du erinnerst dich? Nur als wir uns … als wir uns darauf konzentriert haben, ging es. Bei den wenigen anderen Sehnsüchten, die in meiner Nähe waren, gab es das Problem nie. Das hätte mich misstrauischer machen sollen. Und dann der offensichtlichste Anhaltspunkt, den ich mir nie erklären konnte: Er hat Deutsch mit mir gesprochen! Beinahe immer. Außerdem habe ich die Verbindung gespürt, als Darragh uns davon erzählt hat.«
Alice tätsc helte mit einer Hand mein Knie. Sie schien etwas sagen zu wollen, etwas Beruhigendes, typisch Alice, doch dann runzelte sie die Stirn. »Wieso ‚hat’?«
Verständnislos blickte ich sie an.
»Du sagtest, er hat dich angezogen, er hat Deutsch geredet et cetera … Hat. Vergangenheit.« Entsetzt schlug sie die freie Hand vor den Mund. »Cassim. Hast du deshalb geweint?« Die tätschelnde Hand ruhte nun auf meinem Arm. Tröstend, mitleidig. »Ist er tot?«
Ohne dass ich es verhindern konnte, wallte die Sehnsucht in mir auf, suchte nach ihren Gegenstücken, wollte von ihnen Besitz nehmen und sie nicht mehr loslassen.
Die Bilder kehrten zurück. Stumpfe, ausdruckslose Augen, aus denen alles Lebendige verschwand. Blutgetränkte Hemden. Tränen.
»Nein, er lebt.« Die Worte auszusprechen, war eine unbeschreibliche Erleichterung. »Ich hatte nur einen recht heftigen Alptraum.«
Es war Lillian, die mir verriet, dass das, was ich gesehen hatte, nur ein Traum gewesen war. Sie offenbarte mir zusätzlich, dass sie Jaron tatsächlich gefunden und nach Hause gebracht hatte. Dazu brauchte ich nicht einmal in sie einzudringen. Die Freude, dass er durchkommen würde, erfüllte ihren Kopf. Sie schien aus ihr hinausdrängen zu wollen wie ein reißender Fluss.
»Warum dann das ‚hat?«, verlangte Alice zu wissen.
»Warum beharrst du so sehr darauf?«, entgegnete ich und nahm einen weiteren Schluck. Die Wärme des Kaffees stärkte meine angeschlagene Stimme. »Keine Ahnung. Bei dem, was ich dir über die letzten Stunden beziehungsweise Tage erzählt habe, gibt es doch Wichtigeres als meine Wortwahl.«
Alice schnalzte mit der Zunge. Ihr Gesicht nahm nun einen deutlich entspannteren Ausdruck an, auch wenn um ihre Augen kleine Falten blieben. »Ich trau dir nicht ganz über den Weg. Du sagst selten nur irgendetwas daher.«
»In diesem Fall schon. Ich habe zu sehr an meinen Traum gedacht.«
Damit musste sie sich zufrieden geben.
»Also sind die Entführungen damit gestoppt?«
»Ich denke schon. Ich habe zwar nicht mehr nach dem Portal gesucht, aber ich denke, dass ich es in meiner Raserei zerstört habe. Außerdem gibt es niemanden dort mehr, der es benutzen will.«
Wir unterhielten uns weiter leise über das Geschehene, bis Noemie zurückkam. Auf die Schnelle hatte sie nur Nudeln gefunden und einen großen Klecks Ketschup dazugegeben.
Erst nach Stunden, als ich mich beinahe vollkommen erholt fühlte und der dumpfe Schmerz in meinem Inneren allmählich nachgelassen hatte, fragte ich Noemie. »Ist pépé in seinem Arbeitszimmer?«
Für einen kurzen Augenblick hatte sie ihre Gesichtszüge nicht unter Kontrolle. »Wieso willst du mit ihm sprechen?«
Augenblicklich war mein Misstrauen geweckt. Mein Blick wanderte zwischen meinen beiden Besucherinnen hin und her, doch nun ließ sich keiner von ihnen etwas anmerken.
»Du solltest noch warten, bevor du zu ihm gehst. Es könnte dich zu sehr anstrengen«, bemerkte Alice.
»Ich hab e schon Schlimmeres überstanden«, behauptete ich, wissend, dass das nicht ganz der Wahrheit entsprechen konnte. Ich hatte schon die Füße auf dem Boden, als sie mich ein weiteres Mal versuchten, aufzuhalten. »Okay, raus mit der Sprache: Was ist
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