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Desiderium

Desiderium

Titel: Desiderium Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christin C. Mittler
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durchsichtiger Schleier schien sich auf meine Schultern zu legen. Erst nahm er mir die Sicht, dann schien er mich zu erdrücken. Bei jedem Atemzug wurde Rauch in meine Lunge gepresst. Es fühlte sich an als würde er meinen Körper von innen heraus zerfetzen.
    Schlagartig wurde ich mir der Situation bewusst. Die Stadt der Echos. Feuer. Alles brannte. Die Türme. Jaron! Jaron war noch in dem zweiten Turm. Jaron konnte sich nicht selbst retten.
    Aber nun da der Adrenalinschub nachließ und mich die Schwäche überkam, fiel es mir schwer, mich schnell genug zu bewegen.
    Mit schwerer werdenden Atem rannte ich nach unten. Meine Lungen begannen zu brennen wie meine Umgebung; jeder Körperteil tat mir weh. War es vorhin noch der Gedanke an Rache gewesen, der mich hatte losrennen lassen, war es nun der Gedanke an Rettung.
    Ich musste Jaron und mich retten. Rechtzeitig. Bevor der Rauch, das Feuer oder die Zeit mich und damit auch ihn und Lillian umbrachte!
    Keuchend erreichte ich den ersten Turm wieder, der von außen zwar noch immer düster, aber im Gegensatz zu allem anderen unberührt und sicher aussah.
    Jaron war nicht wieder zu Bewusstsein gekommen, er war voller Blut. Verdammt ! Aber wenigstens spürte ich, dass er noch lebte.
    Nicht sicher, was ich tun sollte, löste ich behutsam die letzte Fessel und hob seinen schlaffen Körper an. Darauf bedacht, dass wenigstens sein kaputter Fuß nicht noch mehr in Mitleidenschaft gezogen wurde, legte ich einen Arm um meine Schulter und stemmte uns hoch. Falls es dabei zur gewöhnlichen Reaktion zwischen uns bei Körperkontakt kam, spürte ich davon nichts.
    Es war komplizierter als ich erwartet hatte. Meine Knie wackelten bedrohlich, während ich ihn nach und nach die Treppe herunter schleppte. Bei jeder Stufe bekam ich Angst, er könnte fallen und sich den Hals brechen. Zwei Mal stolperte ich selbst bei dem Versuch, ihn aufrecht zu halten.
    Schweiß und Blut klebten an meine r Haut, als wir schwer atmend nach draußen kamen.
    Die Luft war unerträglich. Heiß und stickig. Überall waren Flammen und Rauch. Hustend presste ich eine Hand auf Nase und Mund. Die andere hatte ich noch immer in Jaron verkrallt.
    Nicht loslassen! Durchhalten! Wenn ich erst einmal innehielt, würde ich möglicherweise nicht mehr die Kraft finden, weiterzumachen.
    Es schien Stunden zu dauern, bis ich den Ausgang auch nur erahnen konnte. Immer häufiger tauchten schwarze Punkte vor meinen Augen auf, mir wurde schwindlig. Jaron schien immer schwerer zu werden.
    Als das Haupttor in Sicht kam, hatte sich das Feuer bereits bis dahin ausgebreitet. Brennende Balken, Dachziegel und Dinge, die ich nicht mehr genau ausmachen konnte, versperrten uns den Weg. Es kostete unnötige Kraft, ihnen auszuweichen und um sie herum zu gehen. Kraft, die ich kaum noch hatte.
    Doch selbst als wir es geschafft hatten, die Stadt zu verlassen, war es noch nicht vorbei: War es mir vorher schwer gefallen zu atmen, konnte ich es nun gar nicht mehr. Meine Lunge fühlte sich an als würde sie von jemandem zerquetscht werden. Ich japste und taumelte. Ich hätte meine Uhr, die ich an diesem Morgen zu Hause gelassen hatte, nicht einmal gebraucht, um zu verstehen, was passierte:
    Meine Zeit war abgelaufen!
    Ich musste zurück. Ich musste innerhalb der nächsten zwei Minuten zum Portal. Oder ich würde sterben wie mein Vater!
    Als das Portal in Sicht kam, sammelte ich meine letzten Kräfte und legte den bewusstlosen Jaron unter einem Baum ab. Ohne wirklich zu sehen, was ich tat, hielt ich gegen die nahende Ohnmacht an. Halb g ehend, halb kriechend kämpfte ich Zentimeter um Zentimeter, bis meine Finger den Stein berührten.
    Mit einem letzten Satz hievte ich mich nach vorne und wurde zurück in den Keller meiner Großeltern tragen.
     
    Ich sah vor mir, wie Darragh und Jaron jeder für sich starben.
    Bei dem Verräter war es ein lauter Tod.
    Es war nicht nur das Knistern des allgegenwärtigen Feuers oder das Krachen der in sich zusammenfallenden Gebäude. Es war ein Sturm, dessen tosender Lärm sich auf meine Ohren legte.
    Darragh starb mit einem markerschütternden Schrei, bis er vom Wasser verschluckt und in die Tiefe gezogen wurde. Ohne ihn noch einmal zu sehen, wusste ich, dass er nicht wieder auftauchen würde – nicht aus eigener Kraft, nicht lebend. Er würde nicht zurückkehren, weil ich dafür sorgte, dass er unter Wasser festgehalten wurde.
    Mitleid empfand ich zu keiner Zeit. Im Gegenteil. Zu wissen, dass ich ihn gestoppt hatte,

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