Desiderium
hatte geweint.
Jaron!
Das Gefühl, das irgendetwas in mir zerbrochen war, nahm von mir Besitz. Ein seltsamer Laut, den ich nicht von mir kannte, kam aus meiner Kehle. Eine vereinzelte Träne suchte sich ihren Weg.
»Cassim? Cassim!«
Meine Augen bewegten sich in Richtung der Bettkante:
Zwei Leute waren bei mir im Raum. M eine Schwester kniete neben mir auf dem Kissen. Noemie tat genau dasselbe wie Lillian; sie tunkte einen Waschlappen in eine Schüssel Wasser, um ihn mir auf die Stirn zu legen. Alice stellte soeben ein Tablett mit drei dampfenden Tassen auf meinem Nachttisch. Der Geruch von heißem Kaffee drang in meine Nase.
»Cassim«, fragte nun auch meine beste Freundin. »Bist du wach?«
»Mehr oder weniger«, erwiderte ich krächzend. Meine Stimme klang als hätte ich einen Abend lang ein Rockkonzert gegeben. »Wie lange war ich weggetreten?«
»Ungefähr einen halben Tag. « Noemie legte mir erneut den Lappen auf die Stirn, dieses Mal unausgewrungen, sodass mir das Wasser über die Nase lief. Seltsamerweise war das ein gutes Gefühl, es brachte mich dazu, mich besser auf die Realität zu konzentrieren.
»Henry hat dich gefunden«, erklärte Noemie, bevor ich danach fragen konnte. Das Letzte, an das ich mich erinnerte, war der helle Schein des Portals gewesen, durch das ich mich gerade noch hatte retten können. »Er meinte, du hättest dich beim Sport überanstrengt. Warum machst du Sport im Keller? Und warum machst du in letzter Zeit überhaupt so viel Sport?«
Ehe ich auf den Schwall an Fragen reagieren kon nte, legte Alice meiner Schwester eine Hand auf die Schulter. Obwohl meine beste Freundin genau wie ich nur wenige Jahre älter war als Noemie, wirkte sie in diesem Moment wie eine äußerst reife, erwachsene Frau.
»Im Keller ist es kühl . Ich bin die Treppen hoch und runter gelaufen. Ist gut für die Beine.« Es überraschte mich, wie leicht es mir selbst jetzt fiel, zu lügen. »Ich hab es wohl übertrieben – eine Art von Sucht.«
Mir war deutlich bewusst, dass Alice mich ansah. Besorgt runzelte sie die Stirn. Das Wort ‚Sucht’ brachte sie in Alarmbereitschaft.
»Aber zum Glück hast du es noch unter Kontrolle. Solltest du es alle rdings noch einmal so übertreiben, sehen wir uns gezwungen, dich an das Bett zu fesseln.«
Ich rappelte mich auf und bat meine Schwester, mir eine Tasse zu reichen. Im Sitzen trank ich einen Schluck. Das heiße Getränk schien meinen Hals zu verbrennen. »Ich weiß. Ich hab es ja nicht mit Absicht gemacht. Und mein Trainer war nicht in der Lage, mich … rechtzeitig zu stoppen.«
Jaron!
Alice verschluckte sich an ihrem Kaffee. Doch da sie wusste, dass ich auf ihre fragenden Blicke nicht antworten konnte, ohne dass all meine Geheimniskrämerei der letzten Monate umsonst gewesen wäre, spielte sie das Spiel weiter: »Geht es dir denn jetzt halbwegs okay?«
Ich zuckte mit den Schultern, was mir einen unangenehmem Stich im Rücken bescherte. »Ehrlich gesagt, weiß ich das noch nicht so genau. Bin noch etwas neben der Spur« Dann kam mir eine Idee: »Noemie, könntest du mir vielleicht etwas zu Essen machen?«
Noemie verzog das Gesicht. »Ich k ann Ariane bitten, dass sie dein Lieblingsessen macht.«
Ich hatte ein Lieblingsessen? » Heute Morgen meinte mamé , sie hätte ihr frei gegeben. Bitte.«
Nicht gerade begeistert, verschwand Noemie in Richtung Küche.
Alice nahm ihren Platz ein. »Bin ich die Einzige, der es leid tut, dass wir sie im Dunkeln lassen? Sie war wirklich besorgt um dich!«
» Nur gelegentlich habe ich ein schlechtes Gewissen. Ich bin eine der wenigen in meiner Familie, die von sich behaupten kann, dass sie andere aus sinnvollen Gründen anlügt.«
»Du hast deine Zeit überschritten, oder? Wie konnte das passieren? Wieso war Jaron nicht da?«
Jaron auf dem weißen Bett, schwach, sterbend!
»Wir sind in die Stadt der Echos, um Lilli zu retten. Man hatte sie entführt, um uns dorthin zu locken. Der Entführer wusste von Jarons Beziehung zu ihr, er wusste sogar von meiner Verbindung«, berichtete ich leise.
»Woher konnte er von der Verbindung wissen? Wie viele Sehnsüchte gibt es, die überhaupt die Wahrheit kennen? Fünf?«
»Weil wir so naiv waren und ihm alles selbst erzählt haben. Darragh wusste von Jaron und Lillian, Lillian und mir, Jaron und mir …«
Alice fiel sprichwörtlich alles aus dem Gesicht. »Darragh?!«, wiederholte sie. »Ölprinz Darragh, oberster Eingeweihter Darragh?«
»Jarons bester Freund«, stimmte
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