Desire - Die Zeit Der Rache Ist Gekommen
wie sich die alte Fledermaus von Klostervorsteherin, Schwester Charity, nennen mochte. Diese Schwester Charity, die den alten Zeiten anhing, in welchen die Nonnen düstere Gewänder trugen und nichtsahnenden Schülern auf die Finger schlugen, in denen Drohungen und Einschüchterungen noch vor den Lobpreisungen standen, erinnerte eher an eine Gefängnisaufseherin als an eine geistliche Führerin.
Warum Camille beschlossen hatte, ausgerechnet in einer so strengen Einrichtung wie St. Marguerite ihr Gelübde abzulegen, war Valerie ein Rätsel.
Nein, das ist dir keineswegs ein Rätsel. Du kennst die Gründe – du willst sie dir nur nicht eingestehen.
Pssst!
Ein Flüstern des Bösen drang in Schwester Lucys Gehirn.
Sie riss die Augen auf und starrte in die Dunkelheit ihres winzigen Zimmers im Konvent. Ihre Haut kribbelte, ihr Mund schmeckte nach Metall.
Vater im Himmel, bitte lass das bloß den Nachklang eines schlechten Traums sein, eines Alptraums, der –
Pssst!
Da war es wieder, der entsetzliche Vorbote dessen, was kommen würde. Sie warf die dünnen Decken von sich und fiel auf die Knie. Ihr Nachthemd bauschte sich um sie, als sie instinktiv nach dem Rosenkranz griff, den sie über den Pfosten des Metallbetts gehängt hatte. Schwester Lucy schlug mit dem daran befestigten Kruzifix das Kreuzzeichen und begann, stumm das Apostolikum aufzusagen. Schweiß sammelte sich auf ihrer Stirn. »Ich glaube an Gott, den allmächtigen Vater, den Schöpfer des Himmels und der Erde …« Und sie glaubte tatsächlich. Voller Inbrunst. Für gewöhnlich fand sie Trost in diesem Ritual, das sie seit ihrer Jugend kannte. In Zeiten großer Belastung, Sorge oder Not tröstete es sie, ihre Finger über die glänzenden Perlen gleiten zu lassen und die Gebete zu flüstern, die sie Gott näherbrachten.
Pssst!
Wieder dieses elektrisierende Kribbeln unter ihrer Haut. Der Schweiß lief ihr zu den Augenbrauen.
Nicht hier, bitte nicht hier … nicht im Konvent!
Ihr Gebet war unterbrochen, und sie begann von vorn, die Augenlider zusammengepresst, die Ellbogen auf die dünne Matratze gestemmt. Ihr Kopf surrte.
Wieder berührte sie mit dem Kruzifix ihre Stirn und begann mit der Folge von Gebeten, die ihr so leicht in den Sinn kamen.
Das muss ein Irrtum sein, dachte sie, während sie stumm die vertrauten Worte murmelte. Seit sie dem Konvent von St. Marguerite beigetreten war, in der Absicht, ihre letzten Ordensgelübde abzulegen, waren derartige »Zwischenfälle« – wie ihre Mutter sie genannt hatte – nicht mehr vorgekommen. Schwester Lucy hatte gemeint, hier in Sicherheit zu sein.
»Ich glaube an –«
Pssst!
Lauter diesmal.
Schwester Lucy – ehedem Lucia Costa – holte scharf Luft und ließ ihren Rosenkranz fallen. Abermals war ihr Gebet unterbrochen worden. Sie erhob sich und gab es auf, dem Unvermeidlichen aus dem Weg gehen zu wollen. Barfuß schritt sie über den Hartholzboden und spürte, wie sich Ärger zusammenbraute, und zwar so gewiss wie ein Hurrikan vor der Küste Louisianas. Vor ihrem inneren Auge sah sie die Kapelle dieser Kirchengemeinde und blinzelte gegen eine wahre Flut von Bildern an.
Rot flackerndes Licht.
Ein verschwommenes Gesicht.
Ein abgetragenes, vergilbtes Kleid. Fadenscheinig. Zerrissen.
Ein wogendes, dunkles Gewand.
Verkniffene, todbringende Lippen.
Eine schwere Tür, die klickend ins Schloss fiel.
Ein blutiges Kruzifix, aus Christi heiligen Wunden tropfte es blutrot.
Tod,
psalmodierte eine Stimme über das statische Rauschen in ihrem Kopf hinweg.
Sie stürmte in die Halle, die schwach von vereinzelten Wandleuchtern erhellt war, und rannte die Treppe hinunter. Ihre Finger glitten über den abgenutzten Handlauf. Sie folgte einem vorbestimmten Weg. Blasses Licht fiel durch die Buntglasscheiben, und die Hitze des Junitages war auch nachts noch zu spüren.
Warum?, fragte sich Lucia verzweifelt. Warum jetzt? Warum hier? Es ist nichts … bloß ein schlechter Traum. All deine Ängste kristallisieren sich, mehr steckt nicht dahinter.
Ihr Herz trommelte ungleichmäßig. Sie wandte sich der Kapelle zu – dem kleineren Ort der Andacht, im Gegensatz zu der gewaltigen Kathedrale. Ein Gefühl der Ungewissheit trieb sie vorwärts, und sie drückte gegen die zweiflügelige Tür, die sich leichtgängig öffnete, und betrat das Haus Gottes. Die Kapelle war für gewöhnlich ein Ort der Helligkeit, der Güte und Tugend, des Vergebens und der Erlösung, doch heute Nacht spürte Lucia, dass hier
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