Désirée
Julie. »Madame la Maréchale, wie haben Sie die Nacht verbracht?«, sagte Julie, und ihre Mundwinkel zuckten. Lachte oder weinte sie? »Innigen Dank, ganz ausgezeichnet, Kaiserliche Hoheit«, antwortete ich und verneigte mich bis zum Boden. Genauso, wie ich es seinerzeit bei Monsieur Montel gelernt habe. »Ich bin absichtlich etwas früher gekommen, wir können uns noch ein wenig in den Garten setzen«, sagte meine Schwester, Ihre Kaiserliche Hoheit, Prinzessin der Franzosen. Unser Garten ist klein, und trotz Josephines Ratschlägen haben sich die Rosenstöcke unter meiner Pflege nicht gut entwickelt, und wir haben keinen Baum, der mir die Sehnsucht nach der alten Kastanie in Sceaux nehmen könnte. Aber wenn der Flieder blüht und die beiden Apfelbäumchen, die Jean-Baptiste an Oscars erstem Geburtstag gepflanzt hat, gibt es für mich kein süßeres Stückchen Frühling als den kleinen Garten in der Rue Cisalpine. Sorgsam fegte Julie mit einem Taschentuch die Gartenbank ab, bevor sie sich in ihrer wasserblauen Satintracht niedersetzte. Ernsthaft schwankten dabei die blauen Straußfedern in ihrem Haar. Marie brachte uns Limonade und betrachtete kritisch Julie. »Die Kaiserliche Hoheit sollte etwas Rouge auflegen«, bemerkte sie, »die Marschallin sieht viel besser aus!« Julie warf ärgerlich den Kopf zurück: »Die Marschallin hat es auch leichter! Aber ich habe solche Sorgen wegen der großen Übersiedlung. Wir übersiedeln ins Palais Luxembourg, Marie!«
»Die schöne Villa in der Rue du Rocher scheint derPrinzessin Julie nicht mehr gut genug zu sein«, bemerkte Marie bissig.
»Aber nein, Marie!«, flehte Julie. »Du bist ungerecht, ich hasse Schlösser! Es ist nur, weil das Thronfolgerehepaar von Frankreich immer im Palais Luxembourg wohnen muss.« Julie, der weibliche Teil des französischen Thronfolgerehepaares, sah todunglücklich aus. Aber Marie hatte kein Einsehen. »Dem seligen Monsieur Clary wäre es nicht recht, gar nicht recht«, knurrte sie. Dann stemmte sie die Arme in die Seiten: »Der Herr Papa war nämlich Republikaner!« Julie presste die Hände an die Schläfen. »Ich kann doch nichts dafür!«
»Lass uns ein wenig allein, Marie«, bat ich. Und sobald Marie außer Hörweite war: »Hör doch nicht auf den alten Drachen, Julie!«
»Aber ich kann doch wirklich nichts dafür«, klagte Julie. »Übersiedeln ist weiß Gott kein Vergnügen, und all diese Zeremonien machen mich ganz krank. Gestern bei der Ernennung der Marschälle haben wir geschlagene drei Stunden ununterbrochen gestanden und heute im Dôme des Invalides –«
»Da werden wir sitzen«, beruhigte ich sie schnell. »Trink deine Limonade!« Die Limonade schmeckte genauso wie die letzten Tage: süßsauer. Süß waren die Tage nur, weil wir mit Gratulationen überschüttet worden sind. Mein Jean-Baptiste ist zum Marschall von Frankreich ernannt worden. Der Marschallsrang ist der Traum jedes Soldaten, gleichgültig, ob er als Rekrut oder als General dient. Und nun ist für meinen Mann dieser Traum in Erfüllung gegangen. Nur anders, so ganz anders, als wir es uns vorgestellt hatten. Kurz nach meinem nächtlichen Besuch in den Tuilerien wurde der Royalistenführer George Cadoudal gefangen genommen. Nach der Vollstreckung des Todesurteils am Herzog von Enghien zweifelteniemand am Ausfall dieses Prozesses. Ich wurde jedoch krank vor Angst um Jean-Baptiste, als plötzlich General Moreau, General Pichegru und andere Offiziere mit der Verschwörung dieses Cadoudal in Zusammenhang gebracht und verhaftet wurden. Stündlich erwarteten wir die Staatspolizei. Stattdessen wurde Jean-Baptiste genauso wie einst zum Ersten Konsul in die Tuilerien berufen. »Die französische Nation hat sich für mich entschieden, Sie werden doch der Republik nicht entgegenarbeiten?« – »Ich habe der Republik niemals entgegengearbeitet und könnte mir nicht vorstellen, dies jemals zu tun«, antwortete Jean-Baptiste ruhig. »Wir werden Sie zum Marschall ernennen«, erklärte Napoleon. Jean-Baptiste verstand ihn nicht. »Wir?«, fragte er verständnislos. »Ja – Wir, Napoleon I., Kaiser der Franzosen.« Jean-Baptiste war sprachlos. Napoleon musste derart über seine Verblüffung lachen, dass er sich aufs Knie schlug und vor Heiterkeit im Zimmer herumtanzte. General Moreau wurde des Hochverrats für schuldig befunden, aber nicht zum Tode verurteilt, sondern ausgewiesen. Er reiste nach Amerika und trat die Fahrt in seiner französischen Generalsuniform an. Der Säbel,
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