Désirée
Zimmer, dass ich kaum atmen konnte. Der Adler verschwamm vor meinen Augen, schien riesengroß und drohend. »Mein Wappen. Das Wappen des Kaisers der Franzosen.«
Hatte ich diese Worte geträumt? Ich gab mir einen Ruck und fand das Zeichenblatt in meinen zitternden Händen. Ich hatte gar nicht bemerkt, dass er es mir gereicht hatte. Napoleon stand schon wieder am Schreibtisch und starrte auf den Bogen mit dem roten Siegel. Ganz unbeweglich stand er da, die Lippen zusammengepresst, sodass das Kinn eckig vorsprang. Ich spürte kleine Schweißperlen auf meiner Stirn. Keinen Blick ließ ich von ihm, keinen Blick.Jetzt beugte er sich vor. Griff nach der Feder. Schrieb ein einziges Wort auf den Bogen und schüttete Streusand darüber. Dann schüttelte er heftig die Bronzeglocke. Auf der Glocke saß ein Adler mit ausgebreiteten Schwingen. Der Sekretär stürzte herein. Napoleon faltete sorgsam den Bogen zusammen. »Siegellack!« Der Sekretär machte sich mit einem Leuchter und Siegellack zu schaffen. Napoleon sah ihm interessiert zu. »Fahren Sie sofort nach Vincennes und übergeben Sie dies dem Festungskommandanten. Sie sind verantwortlich dafür, dass es der Festungskommandant persönlich übernimmt.« Mit dem Rücken zur Tür und drei Verbeugungen gelangte der Sekretär irgendwie aus dem Zimmer. »Ich möchte gern wissen, wozu Sie sich entschlossen haben«, sagte ich heiser. Napoleon bückte sich vor mir nieder und begann die seidenen Rosenblätter vom Fußboden aufzusammeln. »Sie haben Ihren Hut kaputtgemacht, Madame«, bemerkte er und reichte mir eine Hand voll Fetzchen. Ich stand auf, legte die Zeichnung des Adlers auf ein Tischchen und warf dann die Fetzchen ins Feuer. »Kränken Sie sich nicht, es war ein Hut, der Sie gar nicht kleidete«, meinte er. Napoleon begleitete mich durch die leeren Korridore. Ich sah die Wände an. Bienen, ging es mir durch den Kopf, Bienen werden die Tuilerien schmücken. Ich zuckte zusammen, weil jeden Augenblick Wachtposten ins Gewehr traten. Er folgte mir bis zur Kutsche. »Der Wagen Ihrer Mutter, sie wartet auf meine Rückkehr. Was soll ich ihr sagen?« Er beugte sich über meine Hand. Aber diesmal küsste er sie nicht. »Wünschen Sie meiner Mutter recht angenehme Ruhe. Und Ihnen danke ich herzlich für Ihren Besuch, Madame.«
In unserem Salon fand ich Madame Letitia genauso vor, wie ich sie verlassen hatte. Sie saß im Lehnstuhl am Fenster. Der Himmel war bereits hell geworden, im Garten zwitscherten vergnügte Spatzen. Jean-Baptiste beugte sichüber Aktenstücke und schrieb. »Verzeiht, dass ich so lange ausgeblieben bin, aber er hat mich nicht fortgelassen, er plauderte von diesem und jenem«, sagte ich. Ein Bleiring presste meine Schläfen zusammen. »Hat er Bescheid nach Vincennes geschickt?«, fragte Madame Letitia. Ich nickte. »Das schon. Aber er wollte mir nicht sagen, wozu er sich entschlossen hat. Ich soll Ihnen angenehme Nachtruhe wünschen, Madame.«
»Danke, mein Kind«, sagte Madame Letitia und stand auf. An der Tür wandte sie sich noch einmal um. »Auf jeden Fall – danke.« Jean-Baptiste nahm mich in die Arme und trug mich ins Schlafzimmer hinauf. Er streifte mein Kleid ab und meine Wäsche. Dann versuchte er, mir mein Nachthemd anzuziehen, aber ich war zu müde, um die Arme zu heben. Da hüllte er mich einfach in die Decke ein. »Weißt du, dass sich Napoleon zum Kaiser krönen lassen will?«, murmelte ich. »Ich habe das Gerücht gehört, meiner Ansicht nach wird es von seinen Feinden verbreitet. Wer hat es dir gesagt?«
»Napoleon selbst.«
Da beugte sich Jean-Baptiste über mich und starrte mir ins Gesicht. Dann ließ er mich brüsk los. Und ging ins Ankleidezimmer. Dort hörte ich ihn lange Zeit auf und ab gehen. Ich schlief erst ein, als ich ihn neben mir spürte und mein Gesicht in seine Schultern bohren konnte. Dafür schlief ich bis in den späten Vormittag hinein und war im Schlaf todunglücklich und träumte von einem weißen Bogen Papier, über den blutrote Bienen krabbelten. Marie brachte mir mein Frühstück und eine späte Ausgabe des »Moniteur« ans Bett. Auf der ersten Seite stand, dass der Herzog von Enghien heute um fünf Uhr morgens in der Festung Vincennes erschossen worden ist. Wenige Stunden später reiste Madame Letitia zu ihrem verbannten Sohn Lucien nach Italien.
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Paris, 20. Mai 1804.
(1. Prairial des Jahres XII).
I hre Kaiserliche Hoheit, die Prinzessin Joseph!«, meldete Fernand. Und hereingerauscht kam meine Schwester
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