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Désirée

Désirée

Titel: Désirée Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Annemaire Selinko
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zuletzt Kopf zu stehen schienen, wusste ich es: die Lilie.Napoleons Biene ist die umgekehrte Lilie der Bourbonen. Das kann kein Zufall sein, dachte ich. Ich hätte Napoleon gern gefragt, ob ich Recht habe. Aber ich saß sehr weit von ihm entfernt. Ich hörte ihn nur ab und zu schallend auflachen und in eine eingetretene Stille seine jüngste Schwester Caroline quer über die Tafel als »Madame la Maréchale« ansprechen.
    »Wie das alles enden wird…«, sagte ich auf unserer Gartenbank unwillkürlich zu Julie. »Es hat doch eben erst begonnen«, flüsterte Julie und presste ein Riechfläschchen an die Nase. »Ist dir nicht gut?«, fragte ich erschrocken. »Ich kann überhaupt nicht mehr schlafen, seitdem das alles passiert ist«, gestand sie. »Stell dir vor, wenn der Kaiser wirklich keinen Sohn hinterlässt und Joseph und ich die Nachfolge –« Sie begann plötzlich am ganzen Körper zu zittern und warf die Arme um meinen Hals. »Désirée, du bist der einzige Mensch, der mich verstehen kann … du, ich bin doch nur die Tochter des Seidenhändlers Clary aus Marseille, ich kann doch nicht –« Ich löste ihre Arme von meinem Hals. »Du musst dich zusammennehmen, Julie! Zeig doch, wer du in Wirklichkeit bist, zeig es ganz Paris, zeig es ganz Frankreich!«
    »Wer bin ich denn?«, stieß Julie mit zitternden Lippen hervor. »Die Tochter des Seidenhändlers François Clary«, sagte ich eindringlich. »Vergiss das nicht! Julie Clary – Kopf hoch, schämst du dich nicht?« Julie stand auf, und ich führte sie in mein Schlafzimmer. Die Straußfedern in ihrem Haar saßen schief, und ihre Nase war rot geweint. Willenlos ließ sie sich von mir die Frisur richten, Rouge auflegen und mit der Puderquaste über das Gesicht fahren. Plötzlich musste ich furchtbar lachen. »Du, Julie –«, prustete ich, »es ist ja nicht zu verwundern, dass du dich müde und angegriffen fühlst, die Damen der alten Adelsgeschlechter sind immer furchtbar zart, und Prinzessin Julieaus dem hochgeborenen Haus der Bonaparte ist natürlich weniger robust als die Bürgerin Bernadotte!«
    »Du machst einen großen Fehler, Désirée, wenn du Napoleon nicht ernst nimmst«, sagte Julie. »Du vergisst, dass ich der allererste Mensch unter der Sonne war, der ihn überhaupt ernst genommen hat«, sagte ich. »Aber jetzt müssen wir uns beeilen, ich möchte auf dem Wege in den Dom noch die Prozession der Senatsmitglieder sehen.«
    Die Polizisten gaben Julies Wagen die Zufahrt zum Palais Luxembourg frei, und hier hörten wir die feierliche Ausrufung Napoleons zum Kaiser der Franzosen. An der Spitze der Prozession ritt ein Dragonerbataillon. Dann folgten schwitzend und zu Fuß zwölf Stadträte. Es war kein Vergnügen für die spitzbäuchigen Herren, quer durch Paris im Parademarsch zu ziehen. Hinter ihnen tauchten die beiden Präfekten in Galauniform auf. Und dann – angekündigt durch schallendes Gelächter der Zuschauer – der alte Fontanes, Präsident des Senates, zu Pferd! Sie hatten Fontanes auf einen lammfrommen Braunen festgeschnallt, der von einem Reitknecht geführt wurde. Trotzdem sah es aus, als ob der Senatspräsident jeden Augenblick vom Pferd fallen würde. In der Linken hielt er eine Pergamentrolle, mit der Rechten klammerte er sich verzweifelt vorn am Sattel an. Hinter ihm marschierten in Reih und Glied sämtliche Mitglieder des Senats. Dann folgte eine Musikkapelle, die einen feurigen Reitermarsch schmetterte, was Fontanes auf seinem Pferd noch unruhiger machte. Die höchsten Offiziere der Pariser Garnison und vier Kavallerie-Eskadronen beschlossen den Zug.
    Vor dem Luxembourg machte die Prozession halt. Ein Trompeter trat vor, blies nach allen Seiten ein Signal, der alte Fontanes richtete sich feierlich auf, entrollte sein Pergament, von dem ich später in der Zeitung las, dass es den »Akt des Senatus Consultum« enthielt, und verkündete,dass der Senat beschlossen habe, den Ersten Konsul General Napoleon Bonaparte zum Kaiser der Franzosen zu wählen. Die Menge hörte der zittrigen Stimme des alten Herrn schweigend zu, und als er geendet hatte, stießen einzelne Stimmen ein »Vive l’Empereur« hervor. Die Musikkapelle spielte die Marseillaise, und dann bewegte sich die Prozession weiter. Fontanes las seine Verkündigung noch auf der Place du Corps Législatif, der Place Vendôme, der Place du Carrousel und vor dem Rathaus.
    Julie und ich ersuchten dann den Kutscher, uns möglichst schnell zum Dôme des Invalides zu bringen, es hätte

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