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Désirée

Désirée

Titel: Désirée Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Annemaire Selinko
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in den er nach Gewohnheit aller Offiziere die Daten der siegreichen Schlachten, an denen er teilgenommen hatte, einritzen ließ, begleitete ihn. Die letzten, sorgsam eingekratzten Buchstaben waren: MARENGO.
    Dann ging alles Schlag auf Schlag. Vorgestern begab sich der Erste Konsul nach St. Cloud zur Jagd. Dort ließ er sich von dem Beschluss des Senats, ihn zum Kaiser der Franzosen zu wählen, überraschen. Gestern überreichte er im Rahmen einer pompösen Militärparade den Marschallstab an die achtzehn berühmtesten Generäle der französischen Armee. Bereits vor einer Woche hatte Jean-Baptiste die streng vertrauliche Mitteilung erhalten, sich eine Marschallsuniform beim Schneider zu bestellen. Eine genaueZeichnung dieser Uniform war ihm aus den Tuilerien zugesandt worden. Nach Überreichung des Marschallstabes hielt jeder der neuen Marschälle eine kurze Ansprache. Alle achtzehn sprachen Napoleon mit »Eure Majestät« an. Bei Murats und Massénas Reden hielt Napoleon die Augen halb geschlossen, man konnte ihm ansehen, wie müde ihn diese letzten Tage gemacht hatten. Als jedoch Jean-Baptiste das Wort ergriff, um für die Auszeichnung zu danken, glitt ein gespannter Ausdruck über sein Gesicht, der sich zuletzt in sein Lächeln – dieses werbende, zwingende Lächeln – verwandelte. Er trat auf Jean-Baptiste zu, drückte ihm die Hand und forderte ihn auf, ihn »nicht nur als Kaiser, sondern auch als Freund zu betrachten«. Jean-Baptiste stand stramm und verzog keine Miene. Dieser Feier sah ich von einer Tribüne aus zu, die für die Frauen der achtzehn Marschälle errichtet worden war. Ich hielt Oscar an der Hand, obwohl man mir angedeutet hatte, dass dies nicht erwünscht sei. »Madame le Maréchale, stellen Sie sich vor, wenn das Kind durch Geschrei die Rede seiner Majestät stört«, hatte irgendein Zeremonienmeister gestöhnt. Aber ich wollte, dass Oscar dabei sein sollte, wenn sein Papa Marschall von Frankreich wurde. Als die vielen tausend Zuschauer »Vive l’Empereur« jubelten, weil Napoleon Jean-Baptistes Hand drückte, schwenkte er aufgeregt die kleine Fahne, die ich ihm gekauft hatte. Julie stand auf einer anderen Tribüne. Auf der Tribüne der kaiserlichen Familie nämlich. Da ein Kaiser über eine vornehme Familie verfügen muss, hat Napoleon seine Brüder, mit Ausnahme von Lucien natürlich, zu Kaiserlichen Prinzen ernannt und ihre Gattinnen zu Kaiserlichen Prinzessinnen. Joseph gilt als Thronfolger, solange Napoleon keinen Sohn besitzt. Etwas Kopfzerbrechen hat Madame Letitias Titel bereitet. »Kaiserinwitwe« konnte Napoleon sie doch nicht nennen, da sie schließlich niemals Kaiserin,sondern nur die Gattin des kleinen korsischen Advokaten Carlo Buonaparte gewesen ist. Da er und seine Geschwister meistens von ihr als von der »Frau Mutter« sprechen, kam er auf die Idee, sie einfach der Nation als »Madame Mère« vorzustellen. Übrigens befindet sich Madame Mère noch immer in Italien bei Lucien. Hortense, die Frau Seiner Kaiserlichen Hoheit, des plattfüßigen Prinzen Louis, ist durch ihre Ehe zur Prinzessin geworden, und Eugène de Beauharnais, der Sohn Ihrer Majestät, der Kaiserin Josephine, wurde gleichfalls zur Hoheit ernannt. Obwohl Napoleons Schwestern sich innerhalb von vierundzwanzig Stunden Gewänder, die über und über mit Bienen bestickt sind, angeschafft haben, so stand trotzdem nichts im »Moniteur« über ihre Erhebung zu Kaiserlichen Prinzessinnen zu lesen. Caroline, die kurz nach dem Umsturz im Brumaire General Murat geheiratet hat, stand übrigens während der Feierlichkeiten neben mir und wurde ebenso wie ich eine Madame la Maréchale. Im »Moniteur« hatten wir gelesen, dass die Marschälle mit dem Titel »Monseigneur« anzusprechen sind. Caroline fragte mich nun in vollem Ernst, ob ich die Absicht habe, meinen Mann in der Öffentlichkeit »Monseigneur« zu nennen. Ich konnte mich nicht zurückhalten und gab ihr auf ihre dumme Frage eine ebenso dumme Antwort: »Nein, Monseigneur sage ich zu ihm nur im Schlafzimmer, vor Leuten nenne ich ihn Jean-Baptiste.« Nach der Zeremonie speisten wir achtzehn Marschallsehepaare mit der kaiserlichen Familie in den Tuilerien. Die Wände, die Teppiche, die Vorhänge waren mit Goldbienen bestickt. Viele hundert Stickerinnen müssen Tag und Nacht gearbeitet haben, um diese Ausschmückung fertig zu bringen. Zuerst wurde ich mir nicht klar, woran dieses Bienenmuster erinnerte. Aber als man mir immerzu Champagner nachschenkte und die Bienen

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