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Désirée

Désirée

Titel: Désirée Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Annemaire Selinko
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weiß nur, dassdieser vierschrötige Mann mit den ausladenden Armbewegungen sie anpeitschte und musizieren ließ, wie ich noch nie musizieren gehört habe. Es brauste auf wie Orgelmusik und war doch Geigengesang, es jubelte und klagte, es lockte und versprach. Ich presste die Hand vor den Mund, weil meine Lippen zitterten. Diese Musik hatte nichts mit dem Lied von Marseille zu tun. Aber so muss es geklungen haben, dachte ich, als sie in die Schlacht für die Menschenrechte zogen und Frankreichs Grenzen hielten. Wie ein Gebet und ein Jubelruf zugleich … Ich beugte mich etwas vor, um Jean-Baptiste anzusehen. Jean-Baptistes Gesicht war wie versteinert. Er hatte die Lippen zusammengepresst, kühn und schmal sprang die Nase vor, die Augen glühten. Seine Rechte lag auf der Armstütze des Fauteuils und umkrampfte sie so hart, dass die Adern schwollen. Keiner von uns hatte bemerkt, dass ein Kurier an der Saaltür erschienen war. Keiner, dass der Adjutant Oberst Villatte leise aufstand und ein Schreiben des Kuriers entgegennahm. Und keiner, dass der Adjutant nur einen Blick auf das versiegelte Schreiben warf und sofort neben Jean-Baptiste trat. Als Villatte ganz leicht den Arm Jean-Baptistes berührte, zuckte mein Mann zusammen. Den Bruchteil einer Sekunde sah er sich verwirrt um, dann begegnete er den Augen seines Adjutanten. Er nahm ihm das Schreiben ab und gab ihm ein Zeichen. Villatte nahm dicht neben ihm Aufstellung. Weiter brauste die Musik, die Wände des Saales um mich versanken, ich fühlte mich schweben, fühlte mich hoffen und glauben, wie ich einst vor Jahren als kleines Mädchen an der Hand meines Vaters gehofft und geglaubt hatte. In der kurzen Stille, die zwischen zwei Sätzen der Symphonie eintrat, hörten wir Papier rascheln. Jean-Baptiste erbrach erst jetzt das Siegel des Schreibens und entfaltete den Brief. Monsieur van Beethoven hatte sich umgewandt und blickte ihn forschend an.Jean-Baptiste nickte auffordernd. Weiterspielen! Monsieur van Beethoven hob den Taktstock, breitete wieder die Arme aus, die Geigen jubelten. Jean-Baptiste las. Einmal blickte er einen kurzen Augenblick auf. Es war, als ob er sehnsuchtsvoll dieser Himmelsmusik lausche. Dann nahm er die Feder entgegen, die ihm der Adjutant reichte und schrieb ein paar Worte auf den Befehlsblock, den er immer bei sich trägt. Der Adjutant verschwand mit dem Befehl. Lautlos trat ein anderer Offizier an seine Stelle dicht neben Jean-Baptiste. Auch er verschwand mit einem beschriebenen Stück Papier, und ein dritter stand stramm neben dem roten Seidenfauteuil. Dieser dritte schlug sogar die Hacken zusammen, es klirrte durch die Himmelsmusik, um Jean-Baptistes Mund zuckte es irritiert, dann schrieb er weiter. Und erst als dieser dritte Offizier verschwunden war, hörte er wieder zu. Nicht mehr hochaufgerichtet saß er da, mit Augen, die vor Begeisterung glühten, sondern ein wenig nach vorn gebeugt mit halb geschlossenen Lidern. Er kaute an seiner Unterlippe. Nur zuletzt – noch einmal jubelte dieser Gesang der Freiheit, der Gleichheit, der Brüderlichkeit auf – hob er lauschend den Kopf. Aber es galt nicht mehr der Musik, das spürte ich genau, sondern einer Stimme in seinem Innern. Ich weiß nicht, was diese Stimme zu ihm sagte. Sie wurde von Beethovens Musik begleitet, und Jean-Baptiste lächelte bitter. Beifall prasselte, ich zog meine Handschuhe aus, um lauter klatschen zu können, ungeschickt und verlegen verbeugte sich Monsieur van Beethoven, wies auf die Musiker, mit denen er so unzufrieden war; sie erhoben sich polternd und verneigten sich, und wir applaudierten noch mehr. Neben Jean-Baptiste standen jetzt alle drei Adjutanten. Ihre Gesichter waren aufmerksam gespannt. Aber Jean-Baptiste trat vor und streckte die Hand aus, half Monsieur van Beethoven, dem Ungeschickten undJüngeren, vom Podium, als ob es sich um einen hohen Würdenträger handeln würde.
    »Danke, Beethoven«, sagte er nur. »Von ganzem Herzen – danke!« Das pockennarbige Gesicht wirkte plötzlich glatter, ausgeruhter, die tief liegenden Augen glitzerten lebhaft und geradezu vergnügt. »Erinnern Sie sich noch, General, wie Sie mir an einem Abend in Ihrer Botschaft in Wien die Marseillaise vorgespielt haben?« »Mit einem Finger auf dem Klavier. Mehr kann ich nicht«, lachte Jean-Baptiste. »Damals habe ich Ihre Hymne zum ersten Mal gehört. Die Hymne eines freien Volkes …« Beethovens Augen ließen Jean-Baptistes Gesicht nicht los. Jean-Baptiste überragte ihn, und er

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