Désirée
musste den Kopf geradezu heben. »Ich habe oft an den Abend gedacht, während ich diese Symphonie schrieb. Deshalb wollte ich sie Ihnen widmen. Einem jungen General des französischen Volkes.« »Ich bin kein junger General mehr, Beethoven!« Beethoven antwortete nicht. Unverwandt schaute er Jean-Baptiste an. Deshalb dachte Jean-Baptiste, der Komponist hätte nicht richtig gehört, und schrie ihm zu: »Ich habe gesagt, ich bin kein junger General mehr ….« Beethoven antwortete noch immer nicht. Ich sah, wie die drei Adjutanten hinter Jean-Baptiste vor Ungeduld zu trippeln begannen. »Dann kam ein anderer und trug die Botschaft Ihres Volkes über alle Grenzen«, sagte Beethoven schwerfällig. »Deshalb dachte ich, dass ich dem die Symphonie widmen sollte. Was meinen Sie, General Bernadotte?«
»Monseigneur!«, verbesserten die drei Adjutanten Jean-Baptistes geradezu im Chor. Jean-Baptiste gab ihnen ärgerlich ein Zeichen. »Über alle Grenzen, Bernadotte –«, wiederholte Beethoven ernsthaft. Er lächelte treuherzig, beinahe kindlich. »An jenem Abend in Wien haben Sie mir über die Menschenrechte erzählt. Ich habe vorher sehr wenig darüber gewusst, ich kümmere mich nicht umPolitik. Aber das – ja, das hat nichts mit Politik zu tun.« – Er lächelte: »Mit einem Finger haben Sie mir die Hymne vorgespielt, Bernadotte!«
»Und das haben Sie daraus gemacht, Beethoven«, sagte Jean-Baptiste ergriffen. Eine kleine Pause entstand. »Monseigneur –«, flüsterte einer der Adjutanten. Jean-Baptiste richtete sich auf, seine Hand fuhr über sein Gesicht, als ob er Erinnerungen wegwischen wollte. »Monsieur van Beethoven, ich danke Ihnen für Ihr Konzert. Ich wünsche Ihnen eine gute Reise nach Göttingen und hoffe von Herzen, dass der Professor Sie nicht enttäuschen wird.« Nun wandte er sich unseren Gästen zu, den Offizieren der Garnisonen mit ihren Damen und den Spitzen der Gesellschaft von Hannover. »Ich möchte mich von Ihnen verabschieden – ich rücke morgen früh mit meinen Truppen ins Feld.« Jean-Baptiste verbeugte sich lächelnd: »Befehl des Kaisers. Gute Nacht, meine Damen und Herren.« Dann bot er mir den Arm.
Ja, wir waren glücklich in Hannover. Der gelbe Schimmer der Kerzen kämpfte gegen das Grau des anbrechenden Morgens, als sich Jean-Baptiste von mir verabschiedete. »Du fährst noch heute mit Oscar nach Paris zurück«, sagte er. Fernand hatte längst Jean-Baptistes Feldgepäck vorbereitet. Die goldbestickte Marschallsuniform lag sorgsam beschützt zwischen ihren Überzügen in einer großen Reisetasche. Silber für zwölf Personen wird mitgeführt und ein armselig schmales Feldbett. Jean-Baptiste trug die schlichte glatte Felduniform mit den Generalsepauletten. Ich nahm seine Hand und presste sie an mein Gesicht. »Kleines Mädchen, vergiss nicht, oft zu schreiben! Das Kriegsministerium wird –« »– wird meine Briefe weiterbefördern, ich weiß«, sagte ich. »Jean-Baptiste, wird das kein Ende nehmen? Wird es immer so weitergehen, immer und immer?« »Gib Oscar einen großen Kuss vonmir, kleines Mädchen!« »Jean-Baptiste, ich habe dich gefragt, ob es immer so weitergehen wird?« »Befehl des Kaisers: Bayern zu erobern und zu besetzen. Du bist mit einem Marschall von Frankreich verheiratet, es kann dich nicht überraschen«, kam es ausdruckslos. »Bayern … Und wenn du Bayern erobert hast? Kommst du zu mir nach Paris oder kehren wir beide nach Hannover zurück?« »Von Bayern aus werden wir gegen Österreich marschieren.« »Und dann? Es gibt doch keine Grenzen mehr zu verteidigen! Frankreich hat gar keine Grenzen mehr, Frankreich –« »Frankreich ist Europa«, sagte Jean-Baptiste. »Und Frankreichs Marschälle marschieren, mein Kind. Befehl des Kaisers!« »Wenn ich mir vorstelle, wie oft man dir seinerzeit angetragen hat, die Macht zu übernehmen. Wenn du nur damals –« »Désirée!« Scharf klang es, verbietend. Und dann leise: »Kleines Mädchen, ich habe als gewöhnlicher Rekrut begonnen und nie die Kriegsschule besucht, aber ich könnte mir nicht vorstellen, jemals eine Krone aus der Gosse zu fischen. Ich fische nämlich nicht in der Gosse. Vergiss das nicht. Vergiss es niemals!« Er blies die Kerze aus. Durch die Vorhänge kroch fahl und unerbittlich ein Morgen des Abschiednehmens.
Kurz bevor ich meine Reisekutsche bestieg, ließ sich noch Monsieur van Beethoven bei mir melden. Ich hatte schon den Hut auf dem Kopf, und Oscar stand neben mir und umklammerte stolz seine
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