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Désirée

Désirée

Titel: Désirée Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Annemaire Selinko
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gäbe. Er fragte natürlich nur aus Höflichkeit. Aber der Musiker antwortete ernsthaft: »Man bereitet den Krieg vor, man erwartet, dass die Armeen des Kaisers sich gegen Österreich wenden werden.« Jean-Baptiste runzelte die Brauen und schüttelte den Kopf. So genau wollte er seine Höflichkeitsfrage nicht beantwortet wissen. »Wie spielen die Mitglieder meiner Kapelle hier?«, erkundigte er sich deshalb schnell. Der vierschrötige Mann schüttelte nur den Kopf. Jean-Baptiste wiederholte die Frage so laut wie nur möglich. Der Musiker hob die schweren Augenbrauen, die schläfrigen Augen blinkten schelmisch: »Ich habe Sie sehr gut verstanden, Herr Botschafter – Pardon, Herr Marschall – so nenntman Sie ja jetzt, nicht wahr? Die Mitglieder Ihrer Kapelle spielen sehr schlecht, Herr Marschall.«
    »Aber Sie werden trotzdem Ihre neue Symphonie dirigieren, nicht wahr?«, schrie ihm Jean-Baptiste zu. Monsieur Beethoven schmunzelte: »Ja, weil ich neugierig bin, was Sie dazu sagen, Herr Botschafter.«
    »Monseigneur!«, schrie ihm der Adjutant meines Mannes ins Ohr. »Sagen Sie ruhig Herr van Beethoven zu mir; ich bin kein Seigneur«, sagte unser Gast. »Man spricht doch den Herrn Marschall mit ›Monseigneur‹ an!«, schrie der Adjutant verzweifelt. Ich hielt mir das Taschentuch vor den Mund, weil ich so lachen musste. Unser Gast richtete die tief liegenden Augen ernsthaft auf Jean-Baptiste. »Es ist schwer, sich mit all den Titeln zurechtzufinden, wenn man selbst keinen hat und schwerhörig ist«, sagte er. »Ich danke Ihnen, Monseigneur, dass Sie mich zu diesem Professor nach Göttingen schicken wollen.« »Können Sie Ihre Musik hören?«, krähte jemand dicht neben dem Fremden. Monsieur van Beethoven sah sich suchend um, er hatte die helle Kinderstimme gehört. Jemand zupfte ihn am Rock: Oscar. Ich wollte schnell irgendetwas sagen, um ihn die herzlose Kinderfrage vergessen zu lassen, aber schon neigte sich das große ungekämmte Haupt nieder: »Hast du etwas gefragt, kleiner Bub?«
    »Ob Sie Ihre eigene Musik hören können«, krähte Oscar, so laut er konnte. Monsieur van Beethoven nickte ernsthaft: »Doch, sehr genau sogar. Hier drinnen nämlich.« Er pochte an seine Brust. »Und hier.« Er klopfte sich an die weite, ausladende Stirn. Und mit breitem Lächeln: »Aber die Musiker, die meine Musik spielen, kann ich nicht immer deutlich hören. Und das ist manchmal ein Glück. Zum Beispiel, wenn es sich um so schlechte Musiker handelt wie die deines Herrn Papa!« Nach dem Souper setzten wir uns alle in den großen Ballsaal. Die Mitgliederdes Orchesters stimmten unruhig ihre Instrumente und warfen scheue Blicke auf uns. »Die sind nicht gewöhnt, eine Beethoven-Symphonie zu spielen«, meinte Jean-Baptiste, »Ballettmusik ist leichter.« Drei rote Seidenfauteuils, mit den vergoldeten Kronen des Hauses Hannover geschmückt, waren vor die Reihen der übrigen Zuhörersitze geschoben worden. Hier nahmen Jean-Baptiste und ich Platz. Das Kind saß zwischen uns und verschwand beinahe in dem tiefen Fauteuil. Monsieur van Beethoven stand zwischen den Mitgliedern der Kapelle und gab ihnen auf Deutsch die letzten Anweisungen. Mit ruhigen großen Handbewegungen unterstrich er seine Worte. »Was dirigiert er eigentlich?«, fragte ich Jean-Baptiste. »Eine Symphonie, die er voriges Jahr geschrieben hat.« Im gleichen Augenblick wandte sich Monsieur van Beethoven vom Orchester ab und trat auf uns zu. »Ich hatte ursprünglich die Absicht, diese Symphonie dem General Bernadotte zu widmen«, sagte er nachdenklich. »Dann habe ich es mir überlegt und glaubte, es wäre richtiger, sie dem Kaiser der Franzosen zuzueignen. Aber –« Er machte eine Pause, starrte nachdenklich vor sich hin, schien uns und sein Publikum zu vergessen, erinnerte sich dann, wo er war, und strich sich eine dicke Haarsträhne aus der Stirn. »Wir werden ja sehen«, murmelte er und fügte hinzu: »Dürfen wir beginnen, General?« »Monseigneur!«, zischte sofort Jean-Baptistes Adjutant, der dicht hinter uns saß. Jean-Baptiste lächelte. »Bitte – beginnen Sie, mein lieber Beethoven!« Die schwerfällige Gestalt stieg ungeschickt auf das Podium des Dirigenten. Wir sahen nur den schweren Rücken. Die breite Hand mit den seltsam schmalen Fingern hielt einen Taktstock. Er klopfte an sein Pult. Es wurde totenstill. Er breitete die Arme aus, schwang sie hoch und – dann begann es. Ich kann nicht beurteilen, ob unsere Musiker gut oder schlecht gespielt haben. Ich

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