Désirée
ich an, ich bin doch kein Stratege. Napoleon hat mit den fünf Marschällen auf einem Hügel gestanden. Und alle Feinde Frankreichs sind jetzt auf immer geschlagen. Wir werden endgültig Frieden haben, Désirée! Hast du noch einen Tropfen Schokolade, Marie?« »Frieden …«, sagte ich nur und versuchte, mir die Heimkehr Jean-Baptistes vorzustellen. »Dann kommt er endlich nach Hause«, rief ich in den Salon hinüber. »Er ist angeblich schon unterwegs, wir müssen jetzt ganz Europa beherrschen, und er muss sich das alles genau überlegen«, schrie Julie zurück. »Ganz Europa ist ihm egal, er muss nach Hause kommen, weil Oscar immer nach ihm fragt«, schrie ich zurück. »Ach so, du sprichst von Jean-Baptiste. Ich meinedoch den Kaiser. Der Kaiser ist auf der Heimreise. Jean-Baptiste kann vorderhand nicht kommen, sagt Joseph. Jetzt hat ihn der Kaiser beauftragt, neben Hannover auch Ansbach zu verwalten. Er soll sich in Ansbach einen richtigen Hofstaat einrichten und abwechselnd dort und in Hannover regieren. Du musst zu ihm nach Ansbach fahren und dir alles anschauen!« »Ich kann nicht reisen, Oscar hat doch Keuchhusten«, sagte ich leise. Julie hörte mich nicht. »Findest du wirklich, dass mir Rot schlecht steht? Joseph sieht mich so gern in Rot, es ist eine fürstliche Farbe, sagt er … Au, Marie, jetzt massierst du zu hart! – Warum antwortest du nicht, Désirée?« »Ich bin traurig, ich habe Sehnsucht nach Jean-Baptiste. Warum kann er sich nicht Urlaub nehmen?«
»Sei nicht kindisch, Désirée! Wie soll denn der Kaiser die eroberten Gebiete halten, wenn er sie nicht durch seine Marschälle verwalten lässt?«
Ja, wie soll er sie halten … dachte ich bitter. Seit dieser neuen Schlacht beherrscht er ganz Europa. Mit Hilfe von achtzehn Marschällen. Und ich, gerade ich, bin mit einem Marschall verheiratet! Millionen Franzosen gibt es und nur achtzehn Marschälle. Und von diesen achtzehn habe ich mir einen aussuchen müssen! Und liebe ihn und sehne mich nach ihm.
»Du musst auch eine Tasse Schokolade trinken und dich dann niederlegen, Eugénie«, sagte Marie. »Du hast wieder die ganze Nacht nicht geschlafen!« Ich sah auf. »Wo ist Julie, Marie?« »Du bist eingenickt, und sie ist fortgegangen. Kleider probieren und ihren Ball arrangieren und im Elysée Staub abwischen, bevor die tausend Gäste kommen, nehme ich an.«
»Marie, wird das denn nie ein Ende nehmen? Diese Kriege, dieses Verwalten von Ländern, die uns nichts angehen?«
»O ja, aber ein Ende mit Schrecken«, sagte Marie düster. Sie hasst Kriege, weil sie fürchtet, dass ihr Sohn doch noch einrücken könnte. Und sie hasst alle Schlösser, in denen wir wohnen, weil sie Republikanerin ist. Das waren wir alle übrigens – einst. Ich legte mich nieder und schlief unruhig und fuhr bald wieder auf, weil Oscar vom Husten gewürgt wurde und um Atem rang.
So vergingen viele Wochen. Es wurde Frühling, und Jean-Baptiste war noch immer nicht zurückgekommen. Seine Briefe waren kurz und inhaltslos. Er regierte in Ansbach und versuchte, dort dieselben Reformen wie in Hannover einzuführen. Ich solle zu ihm kommen, sobald Oscar ganz gesund sei, schrieb er. Aber Oscar erholte sich nur langsam. Wir gaben ihm viel Milch zu trinken und setzten ihn in die Frühlingssonne in unserem kleinen Garten. Josephine besuchte mich einmal und sagte, dass ich meine Rosen nicht richtig pflege, und schickte mir ihren Gärtner aus Malmaison. Der Gärtner verlangte einen hohen Lohn und beschnitt meine Rosen so schlimm, dass beinahe gar nichts mehr übrig blieb. Schließlich hörte man auf, sich vor Oscar zu fürchten, und Hortense lud ihn ein, mit ihren zwei Söhnen zu spielen. Seitdem Napoleon diese Söhne adoptiert hat, bilden sich Hortense und Louis Bonaparte ein, dass der älteste Junge Napoleons Kaiserkrone erben wird. Gleichzeitig ist Joseph davon überzeugt, dass ihm der Thron zufallen wird. (Warum Joseph seinen jüngeren Bruder überleben soll und warum Napoleon keinen eigenen Sohn als Erben einsetzen wird, da doch Josephines Vorleserin Eleonore Revel letzten Dezember in »aller Stille«, aber unter viel Gerede den kleinen »Leon« geboren hat, verstehe ich nicht. Vielleicht gelingt der Kaiserin doch noch, was ihr in ihrer ersten Ehe gelungen ist. Aber mich geht das Ganze gottlob nichts an!) Wie gesagt, mein Oscar war bei Hortenses Söhnen eingeladen, und ein paar Tagespäter hatte er Fieber und Halsschmerzen und wollte nichts essen. Jetzt werde ich nicht mehr wie
Weitere Kostenlose Bücher