Désirée
eigene kleine Reisetasche, als er eintrat. Langsam, ungeschickt kam er auf mich zu und verbeugte sich linkisch. »Ich möchte gern, dass Sie –« Er stotterte ein wenig, nahm sich dann zusammen: »Dass Sie dem General Bernadotte bestellen, dass ich die neue Symphonie auch nicht dem Kaiser der Franzosen widmen kann. Ihm schon gar nicht.« Er machte eine Pause. »Ich werdedie Symphonie einfach ›Eroica‹ nennen. Zur Erinnerung an eine Hoffnung, die nicht in Erfüllung gegangen ist.« Er seufzte. »Der General Bernadotte wird mich schon verstehen.« »Ich werde es ihm bestellen, und er wird Sie bestimmt verstehen, Monsieur«, sagte ich ihm und reichte ihm die Hand. »Weißt du, Mama, was ich werden will?«, fragte Oscar, als unser Wagen die endlosen Landstraßen entlangrollte. »Musiker will ich werden!« »Ich dachte, Sergeant oder Marschall wie dein Papa. Oder Seidenhändler wie dein Großvater«, meinte ich zerstreut. Ich hatte längst mein Buch auf den hochgezogenen Knien und schrieb. »Ich habe es mir überlegt. Musiker will ich werden. Ein Komponist wie dieser Monsieur Beethoven. Oder – König!« »Warum König?« »Weil man als König vielen Leuten etwas Gutes tun kann. Das hat mir einer der Lakaien im Schloss erzählt. Früher gab es nämlich in Hannover einen König. Bevor der Kaiser den Papa hinschickte. Weißt du das?« Jetzt hat sogar mein sechsjähriger Sohn herausgefunden, wie ungebildet ich bin. »Komponist oder König«, beharrte er. »Dann lieber König«, riet ich ihm. »Das ist leichter!«
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Paris, 4. Juni 1806.
W enn ich nur wüsste, wo Ponte Corvo liegt! Aber morgen früh werde ich es ja in der Zeitung lesen. Wozu sich weiter den Kopf darüber zerbrechen? Ich will lieber aufschreiben, was ich seit meiner Rückkehr aus Germanien erlebt habe.
Oscar hatte Keuchhusten und durfte nicht ausgehen. Meine Freundinnen mieden mein Haus, als ob ich die Pest hätte, weil sie solche Angst haben, ihre Kinder könnten sich anstecken. Ich wollte wieder mit meinen Klavierstunden und meinem Anstandsunterricht beginnen, aber sogar Monsieur Montel hat Angst vor mir. Diese männliche Ballerina fürchtet sich vor Kinderkrankheiten wie Josephine vor einem Wimmerl im Emailleteint. Ich war froh, keine Stunden nehmen zu müssen, denn ich war meistens schrecklich müde. Oscar hustete und erbrach sich hauptsächlich in der Nacht, und ich ließ deshalb sein Bettchen in mein Schlafzimmer stellen, um ihn zu pflegen. Weihnachten waren wir ganz allein – Oscar, Marie und ich. Ich schenkte Oscar eine Geige und versprach ihm Geigenunterricht, sowie er wieder gesund ist. Ab und zu kam Julie auf Besuch, sie setzte sich dann in den Salon und ließ sich von Marie heiße Schokolade bringen und die Füße massieren, weil ihr bei dem vielen Herumstehen während der großen Empfänge, die sie und Joseph während der Abwesenheit des Kaisers geben müssen, die Knöchel anschwellen. Ich dagegen musste im Esszimmer bleiben, um sie nur ja nicht anzustecken. Wir plauderten durch die offene Tür, das heißt, Julie schrie mir alle Neuigkeiten zu. »Dein Mann hat Bayern erobert, morgen steht es im ›Moniteur‹«, schrie sie im Spätherbst. »Er ist dort auf österreichische Truppen gestoßen und hat sie geschlagen. Jetzt hält erMünchen besetzt. Marie, du musst etwas härter massieren, sonst nützt es nichts! Dein Mann ist ein großer Feldherr, Désirée!« Im Oktober erwähnte sie beiläufig: »Wir haben unsere ganze Flotte verloren, aber Joseph sagt, das macht nichts, der Kaiser wird unseren Feinden schon zeigen, wer Europa regiert …« Anfang Dezember erschien sie ganz atemlos: »Wir haben eine Riesenschlacht gewonnen, und morgen geben Joseph und ich einen Ball für tausend Gäste. Bei Le Roy arbeiten sie die ganze Nacht hindurch, um mir ein neues Kleid zu machen. Weinrot, Désirée – wie findest du das?« »Rot steht dir doch nicht, Julie! Was hast du über Jean-Baptiste gehört? Ist er gesund?« »Gesund? Mehr als gesund, Liebling! Joseph sagt, dass ihm der Kaiser geradezu verpflichtet ist, so gut hat er alles vorbereitet. Weißt du, fünf Armeekorps rückten in die Schlacht bei Austerlitz –« »Wo liegt Austerlitz, Julie?« »Keine Ahnung. Aber das ist doch auch egal, irgendwo in Germanien wahrscheinlich. Hör zu, fünf Armeekorps unter dem Oberbefehl von Lannes, Murat, Soult, Davout und deinem Mann. Jean-Baptiste und Soult haben die Mitte gehalten.« »Welche Mitte?« »Was weiß ich, die Mitte der Frontlinie, nehme
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