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Désirée

Désirée

Titel: Désirée Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Annemaire Selinko
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Das Benehmen des jungen Brahe war mir völlig unverständlich. Was hat meine Abreise mit dem Zaren zu tun? »Der Zar bietet dem Kronprinzen ein Zeichen seiner Freundschaft an«, kam es verzweifelt von Brahe. Und ohne mich anzusehen: »Der Zar beginnt sein Schreiben mit ›Mein lieber Cousin!‹ Ein großer Freundschaftsbeweis …« Ja, ein sehr großer. Der Zar spricht den ehemaligen Sergeanten Bernadotte als seinen Vetter an. Ich lächelte: »Das bedeutet viel für – Schweden.«
    »Es handelt sich um eine Allianz. Russland will sein Bündnis mit Frankreich aufgeben und damit die Kontinentalsperre beenden. Nun müssen wir uns entscheiden, ob wir uns den Russen oder Napoleon anschließen. Beide schlagen Schweden eine Allianz vor.« Ja, ja – das weiß ich. Jean-Baptiste kann seine bewaffnete Neutralität nicht mehr lange halten. »Und deshalb schreibt der Zar an Seine Königliche Hoheit: ›Mein lieber Cousin, wenn es Ihre persönliche Stellung in Schweden sichern kann, so biete ich Ihnen –‹«
    »Finnland an, nicht wahr?«
    »Nein, das schreibt der Zar nicht. Sondern: ›Wenn es Ihre persönliche Stellung in Schweden sichern kann, so biete ich ihnen an, in meine Familie aufgenommen zu werden.‹« Brahe schöpfte tief Atem. Die schmalen jungen Schultern beugten sich wie unter einer Last. Ich starrte ihn entgeistert an. »Was heißt das? Will uns der Zar auch adoptieren?«
    »Der Zar spricht ausschließlich von – Seiner Hoheit.« Endlich wandte er mir sein Gesicht zu. Er sah sehr gequält aus. »Es gibt auch andere Möglichkeiten, um ein Verwandtschaftsverhältnis herzustellen, Hoheit.« Da – ja, da verstand ich ihn. Es gibt noch andere Möglichkeiten … Napoleon hat seinen Stiefsohn mit einer bayrischen Prinzessin verheiratet. Napoleon selbst ist der Schwiegersohndes Kaisers von Österreich und daher mit den Habsburgern verwandt. Sehr nah sogar. Man muss nur eine Prinzessin heiraten. Das ist ganz einfach. Ein Staatsakt, ein Dokument, das Josephine vorgelesen hat. Josephine, schreiend, keuchend vor Schmerz auf dem Bett … »Das würde die Stellung Seiner Hoheit zweifellos sehr sichern«, sagte ich tonlos. »Nicht bei uns in Schweden. Der Zar hat uns Finnland genommen, wir können diesen Verlust nicht so schnell verwinden. Aber im übrigen Europa, Hoheit –« Josephine, schreiend auf dem Bett. So einfach lässt sich das durchführen. Aber Josephine schenkte ihm keinen Sohn … »– – im übrigen Europa würde die Stellung Seiner Hoheit zweifellos an Bedeutung gewinnen.« Aber Josephine schenkte ihm keinen Sohn. »– dann noch einmal andeuten, dass der Zeitpunkt der Abreise Eurer Hoheit nicht günstig ist.«
    »Doch, Graf Brahe. Jetzt – gerade. Eines Tages werden Sie es verstehen.« Ich reichte ihm die Hand. »Ich bitte Sie von Herzen, meinem Mann treu zur Seite zu stehen. Mein Mann und ich haben das Gefühl, dass man uns hier unsere französischen Freunde und Diener übel nimmt. Deshalb kehrt Oberst Villatte, der älteste und treueste Adjutant meines Mannes, der ihn an allen Fronten begleitet hat, mit mir nach Paris zurück. Versuchen Sie, ihn zu ersetzen. Mein Mann wird sehr allein sein. Ich sehe Sie morgen noch, Graf!« Ich kehrte nicht sofort in den Ballsaal zurück. Sondern ging langsam, wie betäubt, in den Park hinunter. Vorbei an den gestutzten Hecken. Hier ist alles so ehemalig. Noch keine zwanzig Jahre ist es her, da feierte hier der seltsame Gustaf III. seine berühmten Gartenfeste. Die Gärtner wissen, wie sehr er diesen Park geliebt hat. Noch heute arbeiten sie genau nach den Anweisungen des Ermordeten. Dort unten im chinesischen Pavillon hat er seine Elegien gedichtet. Wie oft hat er sich verkleidet, umzum Maskenball einzuladen … In dieser Nacht erschien der Park endlos. Der Sohn des Ermordeten wurde für wahnsinnig erklärt. Eine Verschwörung, der Wahnsinnige wird zur Abdankung gezwungen und als Gefangener zunächst hierher gebracht. Hierher ins Lustschloss, man hat es mir genau erzählt. In diesen zierlichen Alleen ist er auf und ab gelaufen, hinter ihm liefen seine Wächter. Zu sich selbst und den Lindenbäumen hat er in seiner Verzweiflung und seiner Ohnmacht und seinem Wahn geredet. Und dort – nahe dem chinesischen Pavillon – hat täglich seine Mutter auf ihn gewartet. Mutter eines Wahnsinnigen, Witwe eines Ermordeten – Sophia Magdalena. Ganz leise sang der Sommerwind in den Blättern. Da bemerkte ich den Schatten. Der Schatten bewegte sich auf mich zu. Ich schrie auf.

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