Désirée
Reisewagen auf der Fahrt
von Schweden nach Frankreich.
Ende Juni 1811.
M ein Pass lautet auf den Namen einer Gräfin von Gotland. Gotland ist eine große schwedische Insel, ich kenne sie nicht. Die Königin selbst ist auf diesen Titel verfallen. Unter keinen Umständen lässt sie es zu, dass ihre liebe Tochter als Kronprinzessin ganz bescheiden durch Europa reist. Aber Aufsehen sollte doch vermieden werden, nicht wahr? Desideria, die angeblich Erwünschte, hat bereits nach wenigen Monaten ihre neue Heimat wieder verlassen. Die Königin erschien sogar bei meinem Wagen, um Abschied zu nehmen. Oscar schluchzte herzzerreißend und versuchte es zu verbergen. Sie legte ihm tröstend die Hand auf die Schulter, aber das Kind schüttelte sie ab. »Versprechen Sie mir, Madame, dass Sie dafür sorgen werden, dass das Kind jeden Abend um neun Uhr ins Bett geht«, bat ich. – »Ich habe neulich einen Brief von Madame de Staël erhalten, diese kluge Frau macht wirklich vernünftige und sehr moderne Vorschläge zur Erziehung des Erbprinzen«, sagte Jean-Baptiste. »Oh – die Staël«, murmelte ich. Diese Journalistin, von Fouché verbannt, eine Freiheitsgöttin mit Hängebusen, die sich viel darauf einbildet, von Napoleon verfolgt zu werden. Die Freundin der Récamier, die langweilige Romane und weniger langweilige Briefe an Jean-Baptiste schreibt. – »Auf jeden Fall – um neun ins Bett«, wiederholte ich und sah Jean-Baptiste zum letzten Mal an. Morgen wirst du ihn nicht mehr sehen, übermorgen nicht mehr, ein Woche lang nicht und noch eine Woche und viele Wochen. Die Récamier, die Staël, die Königin von Schweden, die Koskull, lauter kluge und gebildete Frauen. Eine russische Großfürstinwartet … Jean-Baptiste zog meine Hand an die Lippen. »Graf Rosen wird dir stets zur Seite stehen, was immer auch geschieht«, sagte er. Graf Rosen, mein neuer Adjutant. Der beste Freund des jungen Grafen Brahe. Der neue junge Mann mit der Adjutantenschärpe und dem schimmernden Blondhaar schlug die Hacken zusammen. Graf Brahe tauchte auf, aber wir sprachen nicht mehr miteinander. »Ich wünsche Ihnen eine angenehme Reise, Madame«, sagte die Königin und sah plötzlich alt aus. Sie schien schlecht geschlafen zu haben. Die Tränensäcke unter den blassen Augen waren geschwollen. Wer hat eigentlich heute Nacht gut geschlafen? Die Gräfin Lewenhaupt. Die hat gut geschlafen, die strahlt beim Abschied, jetzt ist sie nicht mehr Hofdame einer Seidenhändlerstochter. Auch die Koskull sah frisch und blühend aus, gut geschminkt und sehr siegessicher. Sie sah Möglichkeiten … Zuletzt drängten sie sich so eifrig um mich, dass sie Oscar beiseite schoben. Aber das Kind stieß sich durch. Oscar ist schon beinahe so groß wie ich, dazu gehört zwar nicht viel, aber Oscar ist wirklich groß für sein Alter. Ich zog ihn ganz schnell an mich. »Gott schütze dich, Liebling.« Ich spürte den frischen Duft seiner Haare, er ist heute früh bestimmt schon ausgeritten. Oscar riecht nach Sonne und Lindenblüten. »Mama, kannst du nicht hier bleiben? Hier ist es doch so schön!« Wie gut, dass er es hier so schön findet. Wie gut … Ich stieg in den Wagen. Jean-Baptiste schob mir ein Kissen hinter den Rücken. Die La Flotte setzte sich neben mich. Dann stiegen Villatte und Graf Rosen ein. Marie und Yvette reisten in einem zweiten Wagen. Als die Pferde anzogen, beugte ich mich vor und betrachtete die Fassade der Fenster. Ich wusste, dass im ersten Stockwerk eine schwarze Gestalt stehen würde. Und sie stand da. Sie blieb. Ich reiste. »Wenn wir in Plombières ankommen, haben wir nicht ein einziges Sommermodell aus diesemJahr«, bemerkte die La Flotte, »wir sollten zuerst nach Paris fahren und einkaufen.« Am Straßenrand stehen blonde Kinder und winken. Ich winke zurück. Ich sehne mich jetzt schon nach Oscar.
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Paris, 1. Januar 1812.
I n dem Augenblick, in dem alle Glocken von Paris das neue Jahr einläuteten, standen wir einander allein gegenüber – Napoleon und ich. Julie überreichte mir überraschend die Einladung. »Nach Mitternacht halten der Kaiser und die Kaiserin Cercle. Aber die Familie ist bereits für zehn Uhr eingeladen. Und du sollst unbedingt mit uns kommen, hat die Kaiserin gesagt.« Wir saßen wie jeden Tag im kleinen Salon in der Rue d’Anjou. Julie erzählte mir von ihren Kindern, ihren Haushaltssorgen und von Joseph, der sich unausgesetzt über die französischen Generäle beklagt, die sich in Spanien herumschlagen und
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