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Désirée

Désirée

Titel: Désirée Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Annemaire Selinko
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ihn nicht auf einem Thron halten können, auf dem er niemals wirklich gesessen hat. Julie dagegen scheint mit ihrem Leben zufrieden zu sein. Sie trägt purpurrote Modelle des Hauses Le Roy, näht Puppenkleider für ihre kleinen Mädchen, verkehrt viel bei Hof und findet die Kaiserin wirklich majestätisch und den kleinen König von Rom sehr herzig. Er soll blonde Haare und blaue Augen haben und zwei Zähne im Unterkiefer. Napoleon kräht wie ein Hahn, um seinen kleinen Sohn zum Lachen zu bringen, oder miaut wie eine Katze. Ich versuche, mir den krähenden und miauenden Napoleon vorzustellen. Julie konnte zuerst nicht verstehen, warum ich mich nicht nach meiner Rückkehr in den Tuilerien meldete. Aber ich lebe ganz zurückgezogen und sehe nur Julie und meine nächsten Freundinnen. Deshalb kam diese Einladung sehr überraschend. Und ich konnte das Gefühl nicht loswerden, dass man mit dieser Aufforderung irgendeinen Zweck verfolgte. Aber welchen? So kam es, dass ich zum dritten Mal mit Angst im Herzen in die Tuilerien fuhr. Das erste Mal war jene Nacht, in der ich Napoleon um das Leben des Herzogs von Enghien bat. Ich hattemeinen neuen Hut aufgesetzt und bat vergebens. Das zweite Mal begleitete ich Jean-Baptiste, als er den Kaiser der Franzosen um Ausbürgerung und Entlassung aus der Armee ersuchte. Gestern Abend trug ich mein weißgoldenes Kleid und die Brillantohrgehänge der Königinwitwe Sophia Magdalena. Den Zobelpelz hatte ich lose umgeworfen, mir war nicht kalt. In Stockholm friert es jetzt, zwanzig bis fünfundzwanzig Grad … In der Seine tanzten besonders viele Lichter. Als ich die Tuilerien betrat, atmete ich tief auf. Ich fühlte mich – zu Hause. Die dunkelgrünen Livreen der Lakaien des Kaisers, die Gobelins und Teppiche mit den Bienen. Überall Bienen, wie er es mir in jener Nacht vorausgesagt hat. Und überall strahlende Helle, keine Schatten, keine Gespenster. Im Salon der Kaiserin war bereits die ganze Familie versammelt. Bei meinem Eintritt wollten mich alle zugleich begrüßen, ich bin ja plötzlich eine waschechte Kronprinzessin, sogar Marie-Luise erhob sich und ging mir entgegen. Sie war noch immer oder schon wieder in Rosa. Die Porzellanaugen waren ausdruckslos, aber sie lächelte überschwänglich, und ihre erste Frage galt ihrer lieben »Cousine«, der schwedischen Königin. Eine Vasa steht dem Herzen einer Habsburgerin natürlich näher als alle Parvenu-Bonapartes zusammen. Dann musste ich mich neben sie auf ein zerbrechliches Sofa setzen. Madame Letitia bewunderte meine Ohrgehänge und wollte wissen, was sie gekostet haben. Ich freute mich, die alte Dame wieder zu sehen. Madame Mère mit Pariser Ringellocken und fein manikürten Nägeln. »Ich kann nicht verstehen, was Napoleone gegen meine Beichtstühle hat«, klagte sie der Kaiserin. »Da habe ich auf einer der Auktionen, bei denen unbrauchbares Armeematerial versteigert wird, drei alte Schilderhäuschen gekauft und sie in meiner Hauskapelle in Versailles als Beichtstühle aufgestellt. Sie eignen sich ausgezeichnet dafür, und ich habe siewirklich billig gekauft. Napoleone findet das kleinlich. Aber in diesem Haus hier wird eben nicht gespart!« Anklagend sah sie sich im Salon der Kaiserin um. Nein, in den Tuilerien wurde nicht gespart … »Mama mia – oh, mama mia«, lachte Polette. Die Fürstin Borghese ist womöglich noch schöner geworden, sie wirkt jetzt zart und zerbrechlich, und unter den großen grauen Augen liegen blaue Schatten. Sie ließ sich ihr Champagnerglas ununterbrochen nachfüllen. Julie hat mir erzählt, dass Polette krank ist. »Eine Krankheit, von der man nicht spricht und die Damen niemals bekommen«, deutete Julie an und wurde dunkelrot dabei. Ich sah Polette an und zerbrach mir den Kopf über ihr geheimnisvolles Leiden. »Erinnern Sie sich noch an den Neujahrsabend, an dem Ihnen schlecht wurde? Damals haben Sie Oscar erwartet«, sagte Joseph zu mir. Ich nickte. »Wir haben damals auf die Dynastie Bernadotte getrunken«, lächelte Joseph. Es war kein angenehmes Lächeln. »Aus König Joseph I. von Spanien spricht der blasse Neid«, bemerkte Polette und trank ihr Glas leer. Es war elf Uhr vorbei. Der Kaiser war noch nicht erschienen. »Seine Majestät arbeitet noch«, erklärte uns Marie-Luise. Die Champagnergläser der Familie wurden gefüllt. »Wann bekommen wir den Kleinen zu sehen?«, erkundigte sich Julie. »Wenn das neue Jahr beginnt, der Kaiser will mit dem Kind auf dem Arm das neue Jahr begrüßen«, sagte

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