Désirée
hingeben darf. Nur seinen Pflichten. Auf diese Weise wird unser Kind genauso wie ein gebürtiger Prinz erzogen werden. Und niemand wird es später einmal einen Parvenu-König nennen, Jean-Baptiste.« Ich legte den Kopf an Jean-Baptistes Schulter und weinte. »Du weinst mir wieder meine Schulterwattierung nass. Wie damals, als ich dich kennen lernte …« »Der Stoff deiner Uniform ist jetzt feiner und weicher, er kratzt nicht mehr so«, schluchzte ich. Dann nahm ich mich zusammen und stand auf. »Ich glaube, es ist Zeit zum Speisen.« Jean-Baptiste saß noch immer regungslos auf der Armlehne des Fauteuils. Sobald ich mich vom Ofen entfernte, spürte ich die eisige Kälte, die in allen Ecken lauert. »Weißt du, dass in Marseille um diese Zeit schon die Mimosen blühen?«, fiel mir ein. »Der Kanzler hat mir versprochen, dass wir in vier Wochen Frühling haben, und Wetterstedt ist einverlässlicher Mann«, murmelte Jean-Baptiste. Langsam bewegte ich mich auf die Tür zu. Mit allen Fasern meines Wesens wartete ich auf ein Wort von ihm. Auf seine Entscheidung. Wie ein Urteil wollte ich sie empfangen. An der Tür blieb ich stehen. Was immer er entscheidet, ich zerbreche daran, spürte ich. »Und wie soll ich den Majestäten und dem Hof deine Abreise erklären?« Hingeworfen klang es, beinahe bedeutungslos. Das Urteil war gefallen. »Sage, dass ich aus Gesundheitsrücksichten nach Plombières reisen muss, um dort die Bäder zu besuchen, und den Herbst und Winter in Paris verbringen werde, weil ich das raue Klima nicht vertrage.« Dann ging ich sehr schnell hinaus.
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Schloss Drottningholm in Schweden.
Anfang Juni 1811.
W ie blassgrüne Seide spannte sich der Nachthimmel über dem Park aus. Mitternacht ist längst vorüber, und noch immer wird es nicht finster. Die Sommernächte im Norden sind hell. Ich habe die Vorhänge zugezogen und sogar dunkle Draperien an meinen Fenstern anbringen lassen, um schlafen zu können. Aber ich habe schlecht geschlafen. Ich weiß nicht, ob das grüne Zwielicht daran schuld ist oder mein bevorstehender Abschied. Morgen früh trete ich meine Rückreise nach Frankreich an. Vor drei Tagen ist der Hof in die Sommerresidenz, das Schloss Drottningholm, übergesiedelt. So weit das Auge reicht, sieht man nur Parkanlagen. Zurechtgestutzte Lindenalleen, zurechtgestutzte Hecken, verschlungene Pfade. Aber, wenn man bis ans Ende des weiten Parkes geht, findet man plötzlich unberührte Wiesen, auf denen zarte Birken wachsen und gelbe Primeln und tiefblaue Hyazinthen blühen. Die hellen Nächte duften sehr süß. Und alles erscheint unwirklich wie im Traum, man schläft nicht richtig, sondern starrt ins Zwielicht, es ist nicht Nacht, nicht Tag. Im Zwielicht liegen diese letzten Tage vor meiner Abreise in meinem Leben, diese letzten Gespräche, unwirklich in ihrer Aufrichtigkeit, das Abschiednehmen, schmerzhaft und trotzdem leicht, weil ich zurückreisen darf. Ich blättre in meinem Tagebuch und denke an Papa. »Ich habe seit Jahren einen Teil meines Gehaltes aufgespart, ich kann ein kleines Haus für Sie und das Kind kaufen –«, sagte damals Jean-Baptiste, ich habe es aufgeschrieben. »Für welches Kind?«, fragte ich zerstreut, meine Gedanken waren bei Napoleon … Jean-Baptiste, du hast Wort gehalten: Du hast ein Häuschen gekauft, es lag in Sceaux bei Paris und war sehrklein und sehr gemütlich, und wir waren sehr glücklich dort. Am 1. Juni ist der schwedische Hof aus dem Königlichen Schloss in Stockholm in das Königliche Schloss Drottningholm übergesiedelt. Jean-Baptiste, du hast mir doch ein kleines Haus versprochen, warum schenkst du mir Schlösser, Marmortreppen, Säulengänge, Ballsäle? Vielleicht träume ich, sagte ich mir im Zwielicht dieser letzten Nacht, in der ich mich noch Kronprinzessin von Schweden nenne. Morgen früh trete ich unter dem Inkognito einer Gräfin von Gotland meine Reise an. Vielleicht träume ich und werde in meinem Schlafzimmer in Sceaux erwachen. Marie wird eintreten und den kleinen Oscar in meine Arme legen. Ich werde das Nachthemd öffnen und Oscar die Brust geben. Aber die Umrisse der Koffer in meinem Zimmer sind sehr wirklich. Oscar, mein Kind, deine Mama fährt nicht nur aus Gesundheitsrücksichten nach Frankreich. Es ist keine Badereise, und ich werde dich sehr lange nicht wieder sehen, mein Kind. Und wenn ich dich wieder sehen werde, wirst du kein Kind mehr sein. Zumindest nicht – mein Kind. Sondern ein wirklicher Prinz, eine Hoheit, erzogen für
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