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Désirée

Désirée

Titel: Désirée Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Annemaire Selinko
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Wollte laufen und war wie gelähmt. »Es tut mir Leid, wenn ich Sie erschreckt habe.« Dicht vor mir auf dem mondübergossenen Kies stand die Königinwitwe in ihren schwarzen Kleidern. »Sie – Sie haben hier auf mich gewartet, Madame?«, fragte ich und schämte mich, weil ich vor Herzklopfen kaum sprechen konnte. »Nein, ich konnte doch nicht wissen, dass Sie einen Spaziergang dem Tanz vorziehen, Madame«, sagte die klanglose Stimme. »Ich selbst gehe immer in schönen Sommernächten spazieren. Ich schlafe sehr schlecht, Madame. Und dieser Park lässt so viele Erinnerungen lebendig werden. Natürlich nur für mich, Madame.« Darauf konnte ich schwer etwas erwidern. Ihren Sohn und ihren Enkel hatte man verbannt. Meinen Mann und meinen Sohn hat man berufen. »Ich nehme Abschied von diesen Alleen, die ich kaum kenne, ich reise morgen früh nach Frankreich zurück«, sagte ich wohl erzogen. »Ich habe nicht erwartet, Sie jemals allein sprechen zu können, Madame. Ich freue mich über die Gelegenheit.« Nebeneinander gingen wir weiter. Die gestutzten Linden dufteten. Ich fürchtete mich nichtmehr vor ihr. Mein Gott, eine alte Dame in schwarzen Kleidern. »Ich denke oft über ihre Abreise nach. Und ich glaube, ich bin die Einzige, die Ihre Gründe kennt.«
    »Es ist besser, nicht darüber zu sprechen«, sagte ich und begann etwas schneller zu gehen. Da griff sie nach meinem Arm. Die plötzliche Berührung erschreckte mich derart, dass ich zurückfuhr. »Fürchten Sie sich denn vor mir, mein Kind?« Ihre Stimme hatte Farbe angenommen und klang tieftraurig. Wir waren stehen geblieben. »Natürlich nicht, das heißt – ich fürchte mich vor Ihnen, Madame.«
    »Sie fürchten sich vor einer kranken, einsamen Frau?« Ich nickte heftig. »Weil Sie mich hassen. Genauso wie die anderen Damen Ihrer Familie. Wie Ihre Majestät, wie die Prinzessin Sofia Albertina. Ich störe Sie nur, ich gehöre nicht hierher …« Ich zerbiss meine Lippen. »Es hat keinen Sinn, darüber zu sprechen, es ändert nichts an den Tatsachen. Ich verstehe Sie sehr gut, Madame. Wir beide versuchen nämlich genau dasselbe.«
    »Bitte erklären Sie mir, was Sie damit meinen.« Weinen stieg in mir auf. Dieser letzte Abend war so unbeschreiblich grauenhaft. So kam es, dass ich aufschluchzte. Aber nur ein einziges Mal, dann hatte ich mich schon in der Gewalt. »Sie bleiben hier in Schweden, Madame, um durch Ihre Anwesenheit ständig an Ihren verbannten Sohn und Ihren verbannten Enkel zu erinnern. Solange Sie hier sind, kann man die letzten Vasa nicht vergessen. Wahrscheinlich würden Sie sogar lieber bei Ihrem Sohn in der Schweiz leben. Seine materiellen Verhältnisse sollen sehr bescheiden sein. Sie könnten ihm den Haushalt führen und seine Strümpfe stopfen, anstatt im Salon Ihrer Majestät Rosen zu sticken.« Meine Stimme senkte sich, ich verriet ihr unser gemeinsames Geheimnis. »Aber – Sie bleiben, Madame, weil Sie die Mutter eines verbannten Königs sind und durch Ihr Bleiben seinen Interessen dienen. Habe ichnicht Recht, Madame?« Sie rührte sich nicht. Mager stand sie da, sehr aufrecht, ein schwarzer Schatten in dem grünen Zwielicht. »Sie haben Recht. Und – warum reisen Sie, Madame?«
    »Weil ich den Interessen des künftigen Königs dadurch am besten diene.« Sie schwieg sehr lange. »Genau das habe ich mir gedacht«, sagte sie dann. Abgerissene Takte Gitarrenmusik schwebten durch die Bäume. Eine Frau sang. Ein Trillerfetzchen flog durch den Park. Es war die Stimme der Koskull. »Sind Sie auch sicher, dass Sie durch Ihre Abreise Ihren eigenen Interessen dienen?«, fragte die alte Frau. »Ganz sicher, Madame. Ich denke an eine ferne Zukunft und an König Oscar I.«, sagte ich leise. Dann verneigte ich mich tief vor ihr und ging allein ins Schloss zurück. Zwei Uhr nachts. Im Park beginnen die Vögel zu zwitschern. Irgendwo hier in diesem Schloss wohnt eine alte Frau, die nicht schlafen kann. Vielleicht wandelt sie noch immer im Park herum. Sie bleibt, ich reise … Den letzten Abend habe ich beschrieben, es bleibt nichts mehr hinzuzufügen. Meinen Gedanken kann ich ja nicht entfliehen. Hat der Zar Töchter? Oder Schwestern? Um Gottes willen – ich sehe schon wieder Gespenster! Meine Tür öffnet sich leise, vielleicht spukt es in diesem Schloss, ich könnte schreien, aber vielleicht irre ich mich, nein – die Tür öffnet sich wirklich, ich tue, als ob ich schreiben würde – Jean-Baptiste. Mein geliebter Jean-Bap– –

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