Désirée
den Thron. Für den Thron muss man nämlich geboren oder erzogen werden … Jean-Baptiste ist zum Regieren geboren. Dich lassen wir dazu erziehen. Deine Mama ist weder dazu geboren noch erzogen worden, und deshalb werde ich dich in wenigen Stunden noch einmal an mein Herz drücken und abreisen. Wochenlang konnte der Hof nicht fassen, dass ich wirklich abreisen wollte. Sie tuschelten und warfen mir neugierig verstohlene Blicke zu. Ich habe erwartet, dass sie es mir übel nehmen werden. Aber sonderbarerweise nehmen sie es der Königin übel. Es wird behauptet, die Königin sei mir keine gütige Schwiegermutter gewesen und habe mich sozusagen hinausgebissen. Sie hatten sich schon auf Intrigen zwischen Ihrer Majestät und Ihrer KöniglichenHoheit gefreut. Man hat sie betrogen, morgen fährt mein Reisewagen vor, eine unbekannte Gräfin von Gotland verlässt das Land. Nach Drottningholm bin ich nur deshalb mitgekommen, weil ich das berühmte Lustschloss der Vasa sehen wollte, in dem Oscar von nun an seine Sommer verbringen wird. Gleich am Abend nach unserer Ankunft wurde in dem kleinen Theater, das der wahnsinnige Gustaf III. erbaut und so kostbar ausgeschmückt hat, eine Vorstellung gegeben. Selig in ihrem Dilettantismus sang die Koskull einige Arien vor. Der König klatschte begeistert. Aber Jean-Baptiste betrachtete sie gleichgültig. Seltsam, einen Augenblick lang in diesem dunklen Winter habe ich geglaubt … Und jetzt, da ich mich zur Abreise entschlossen habe, hat die hoch gewachsene Koskull mit den gesunden Zähnen, die Walküre mit dem vergoldeten Schild, die Göttin des Schlachtfeldes für Jean-Baptiste alle Reize verloren. Liebster, ich reise doch, ich war bereit, einen großen Kummer auf mich zu nehmen … Steht mir ein größerer bevor? Die Worte im Zwielicht dieses letzten Abends waren deutlich. Die Majestäten gaben mir zu Ehren ein Abschiedssouper, und nach dem Essen wurde sogar ein wenig getanzt. Der König und die Königin saßen in vergoldeten Lehnstühlen und hohen steifen Lehnen und lächelten gnädig, das heißt, der König glaubte nur, er lächelte gnädig – es sah traurig aus, der hängende Mundwinkel, das verständnislose Gesicht. Ich tanzte mit Baron Mörner, der uns seinerzeit die Botschaft gebracht hat, dem Kanzler Wetterstedt und Außenminister Engström, der immer von Finnland spricht. Auch mit dem jüngsten Kabinettssekretär Jean-Baptistes, unserem Grafen Brahe, tanzte ich. Obwohl die hellen Nächte des Nordens nicht sehr warm sind, sagte ich: »Es ist heiß im Saal, ich möchte ein wenig Luft schöpfen«, und wir traten ins Freie. »Ich möchte Ihnen danken, Graf Brahe, Sie haben ritterlich an meiner Seitegestanden, als ich hier ankam, und ich weiß, Sie werden morgen ebenso ritterlich an meinem Reisewagen stehen, um sich von mir zu verabschieden. Sie haben alles getan, was in Ihrer Macht steht, um mir den Anfang zu erleichtern. Verzeihen Sie, dass ich Sie enttäuscht habe. Der Anfang ist zu Ende.« Er hatte den dunklen Kopf gesenkt und kaute an dem kleinen Schnurrbart, den er sich wachsen lässt. »Wenn Hoheit wünschen –«, begann er, aber ich schüttelte energisch den Kopf: »Nein, nein, mein lieber Graf! Glauben Sie mir, mein Mann ist ein guter Menschenkenner, wenn er Sie trotz Ihrer Jugend zum Kabinettssekretär ernannt hat, so ist das nur geschehen, weil er Sie braucht. Und zwar hier in Schweden.« Er dankte mir nicht für dieses Kompliment. Kaute weiter an dem werdenden Schnurrbart. Hob plötzlich verzweifelt den Kopf: »Ich bitte Königliche Hoheit, nicht abzureisen. Ich bitte – inständig!«
»Es ist seit Wochen beschlossene Sache, Graf Brahe. Und ich glaube, ich handle richtig.«
»Aber nein – Hoheit, ich bitte nochmals, die Reise zu verschieben! Der Zeitpunkt erscheint mir –« Er stockte wieder. Fuhr sich plötzlich mit der Hand durchs dichte Haar und stieß beinahe heftig hervor: »Der Zeitpunkt ist bestimmt nicht richtig gewählt!« »Nicht richtig gewählt? Ich verstehe Sie nicht, Graf Brahe.« Er wandte den Kopf ab. »Es ist ein Brief des Zaren gekommen. Mehr kann ich nicht sagen, Hoheit.«
»Dann lassen Sie es. Sie sind Kabinettssekretär des Kronprinzen. Sie dürfen sich über die Korrespondenz Seiner Hoheit mit Staatsoberhäuptern bestimmt nicht äußern. Ich freue mich, dass ein Brief des Zaren gekommen ist. Es liegt dem Kronprinzen sehr viel an einem guten Einverständnis mit dem Zaren. Ich hoffe daher, es war ein freundlicher Brief.«
»Zu freundlich!«
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