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Désirée

Désirée

Titel: Désirée Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Annemaire Selinko
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irre ich mich, vielleicht sind Sie wirklich nicht auf Wunsch Bernadottes hier. Auf jeden Fall, Madame – die politische Lage hat sich derart zugespitzt, dass ich Sie bitten muss, Frankreich wieder zu verlassen.« Ich starrte ihn fassungslos an. Wirft er mich hinaus? Wirft er mich aus Frankreich – hinaus?
    »Ich möchte gern hier bleiben«, sagte ich leise. »Wenn ich nicht in Paris bleiben kann, werde ich nach Marseille gehen. Ich habe schon oft daran gedacht, unser altes Haus zurückzukaufen. Papas Haus. Aber die jetzigen Besitzer wollen nicht verkaufen. Deshalb habe ich kein anderes Heim mehr als das Haus in der Rue d’Anjou.« »Sagen Sie einmal, Madame, ist Bernadotte verrückt geworden?«, kam es unvermittelt. Er kramte unter den Papieren auf seinem Schreibtisch, zog schließlich einen Brief hervor. Ich erkannte Jean-Baptistes Schrift. »Ich biete Bernadotte eine Allianz an, und er antwortet mir, er sei keiner meiner Vasallenfürsten.«
    »Ich befasse mich nicht mit Politik, Sire«, sagte ich nur. »Und ich weiß auch nicht, was das mit meinem Aufenthalt zu tun hat.« »Dann will ich es Ihnen sagen, Madame!« Er schlug mit der Faust auf den Tisch. Stuck träufelte von der Zimmerdecke, nun wurde er rasend – leider Gottes richtig rasend. »Ihr Bernadotte wagt es, eine Allianz mit Frankreich auszuschlagen! Warum, glauben Sie, habe ich ihm diese Allianz angetragen? Nun, sagen Sie es mir!« Ich antwortete nicht. »So dumm können nicht einmal Sie sein,Madame. Sie müssen wissen, was man in allen Salons weiß. Der Zar hat die Kontinentalsperre aufgehoben, und sein Reich wird bald nicht mehr existieren. Die größte Armee aller Zeiten wird Russland besetzen. Die größte Armee aller Zeiten …« Das Wort berauschte ihn. »Schweden könnte an unserer Seite unsterblichen Ruhm erwerben. Schweden könnte wieder zur Großmacht werden, ich habe Bernadotte Finnland angeboten, wenn er mit uns marschiert. Ich habe ihm Finnland und die Hansestädte angeboten. Stellen Sie sich das vor, Madame – Finnland!« Ich versuchte wie so oft, mir Finnland vorzustellen. »Ich habe es mir auf der Landkarte angesehen, lauter blaue Flecken, die Seen bedeuten«, sagte ich. »Und Bernadotte greift nicht zu! Bernadotte marschiert nicht mit! Ein französischer Marschall, der diesen Feldzug nicht mitmacht!« Ich sah auf die Uhr. In einer Viertelstunde beginnt das neue Jahr.
    »Sire, es ist bald Mitternacht.« Er hörte mich nicht. Er stand vor dem Spiegel über dem Kamin. Starrte in sein eigenes Gesicht. »Zweihunderttausend Franzosen, hundertfünfzigtausend Deutsche, achtzigtausend Italiener, sechzigtausend Polen, außerdem hundertzehntausend Freiwillige anderer Nationen«, murmelte er. »Die große Armee Napoleons I. Die größte Armee aller Zeiten. Ich marschiere wieder.« Zehn Minuten vor Mitternacht. »Sire –«, begann ich. Er wandte sich jäh um. Sein Gesicht war vor Zorn verzerrt.
    »Und diese Armee missachtet Bernadotte!« Ich schüttelte den Kopf.
    »Sire, Jean-Baptiste ist für das Wohl Schwedens verantwortlich. Seine Maßnahmen dienen einzig und allein den Interessen dieses Landes.«
    »Wer nicht für mich ist, ist gegen mich! Madame, wenn Sie Frankreich nicht freiwillig verlassen wollen, so könnte es geschehen, dass ich Sie als Geisel verhaften lasse.« Ichrührte mich nicht. »Es ist spät geworden«, sagte er plötzlich, trat schnell auf den Schreibtisch zu und läutete. Meneval, der hinter der Tür gelauert haben musste, schoss herein. »Hier! Sofort mit Eilkurier bestellen.« Und zu mir: »Wissen Sie, was das ist? Ein Befehl, Madame. Und zwar an den Marschall Davour. Davour und seine Truppen werden die Grenze überschreiten und Schwedisch-Pommern besetzen. Nun, was sagen Sie jetzt, Madame?« »Dass Sie die linke Flanke Ihrer großen Armee zu decken versuchen, Sire.« Er lachte schallend auf. »Wer hat Ihnen diesen Satz vorgesagt? Haben Sie in den letzten Tagen mit einem meiner Offiziere geplaudert?«
    »Das hat mir Jean-Baptiste schon vor längerer Zeit gesagt.« Seine Augen wurden schmal. »Gedenkt er Schwedisch-Pommern zu verteidigen? Es würde mich amüsieren, ihn im Kampf mit Davout zu sehen.«
    »Amüsieren?« Ich dachte an die Schlachtfelder. Die armseligen Erdhügel mit den windschiefen Kreuzen. Erdhügel in Reih und Glied. Und das amüsierte ihn … »Sind Sie sich klar darüber, Madame, dass ich Sie als Geisel verhaften lassen kann, um die schwedische Regierung zu einer Allianz zu zwingen?« Ich lächelte. »Mein

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