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Désirée

Désirée

Titel: Désirée Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Annemaire Selinko
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Marie-Luise. »Es ist sehr ungesund, den Kleinen aus dem Schlaf zu reißen und den vielen Gästen vorzuführen«, ließ sich Madame Letitia vernehmen. Meneval, der Sekretär des Kaisers, war eingetreten. »Seine Majestät wünscht Ihre Königliche Hoheit zu sprechen«, sagte er leise. »Meinen Sie – mich?«, fragte ich unwillkürlich. Menevals Gesicht blieb ernsthaft. »Ihre Königliche Hoheit, die Kronprinzessin von Schweden.« Marie-Luise plauderte mit Julie, der Vorfall überraschte sie nicht. Da begriff ich, dass siemich auf ausdrücklichen Befehl des Kaisers eingeladen hatte. Die Gespräche der Bonapartes verstummten. »Seine Majestät erwartet Hoheit im kleinen Arbeitskabinett«, bemerkte Meneval, während wir eine Unzahl von Räumen durchschritten. Meine beiden ersten Unterredungen mit Napoleon hatten im großen Arbeitszimmer stattgefunden. Bei unserem Eintritt sah der Kaiser nur ganz flüchtig von seinen Papieren auf. »Bitte nehmen Sie Platz, Madame.« Das war alles. Es war sehr unhöflich. Meneval verschwand. Ich setzte mich und wartete. Vor ihm lag eine Mappe mit vielen eng beschriebenen Bogen. Die kleine eifrige Handschrift kam mir bekannt vor. Das sind wahrscheinlich Alquiers Berichte aus Stockholm, ging es mir durch den Kopf, der französische Botschafter in Schweden ist ein fleißiger Mann. Die Uhr auf dem Kamin tickte dem neuen Jahr entgegen. Ein vergoldeter Bronzeadler mit ausgebreiteten Schwingen hielt das Zifferblatt. Wozu denn das Theater, fragte ich mich, der Kaiser hat mich rufen lassen, um mir etwas Bestimmtes zu sagen. »Sie brauchen mich nicht durch Warten einzuschüchtern, Sire«, hörte ich mich plötzlich sagen. »Ich bin von Natur aus eher schüchtern, und vor Ihnen habe ich sogar Angst.«
    »Eugénie, Eugénie …« Dabei sah er noch immer nicht auf. »Man wartet, bis der Kaiser das Gespräch eröffnet. Hat dir Monsieur Montel nicht einmal so viel Etikette beigebracht?« Dann las er weiter, und ich hatte Zeit, ihn zu betrachten. Die Cäsarenmaske ist fleischig geworden, das Haar sehr dünn. Und dieses Gesicht habe ich einst so geliebt, staunte ich. Es ist lange her, aber an meine Liebe erinnere ich mich noch genau. Nur sein Gesicht habe ich inzwischen ganz vergessen … Mir riss die Geduld. »Sire, haben Sie mich rufen lassen, um mich in Fragen der Etikette zu prüfen?« »Unter anderm. Ich möchte nämlich wissen, was Sie nach Frankreich zurückgeführt hat.«
    »Die Kälte, Sire.«
    Er lehnte sich zurück, kreuzte die Arme über der Brust und verzog ironisch den Mund. »So – so. Die Kälte also. Sie haben trotz des Zobelpelzes, den ich Ihnen nachsandte, gefroren, Madame?«
    »Trotz des Zobelpelzes, Sire.«
    »Und warum haben Sie sich bisher nicht bei Hof gemeldet? Die Gattinnen meiner Marschälle pflegen Ihrer Majestät regelmäßig ihre Aufwartung zu machen.«
    »Ich bin nicht mehr die Gattin eines Ihrer Marschälle, Sire.«
    »Richtig, das hätte ich beinahe vergessen. Wir haben es jetzt mit Ihrer Königlichen Hoheit, der Kronprinzessin Desideria, zu tun. Sie sollten wissen, Madame, dass Angehörige fremder Königshäuser bei ihren Besuchen in meiner Hauptstadt um Audienz anzusuchen pflegen. Aus Höflichkeit, Madame!« »Ich bin nicht auf Besuch hier. Ich bin hier zu Hause.«
    »Ach so – Sie sind hier zu Hause …« Er stand langsam auf, kam hinter dem Schreibtisch hervor, blieb dicht vor mir stehen und schrie mich plötzlich an: »Und wie stellen Sie sich das eigentlich vor? Sie sind hier zu Hause. Und lassen sich täglich durch Ihre Schwester und die anderen Damen berichten, was hier gesprochen wird. Setzen sich dann hin und schreiben an den Herrn Gemahl. Hält man Sie wirklich in Schweden für so klug, dass man Sie als Spionin hierher geschickt hat?«
    »Nein, im Gegenteil. Ich bin so dumm, dass ich hierher zurückkommen musste.«
    Diese Antwort hatte er nicht erwartet. Er hatte sogar schon tief eingeatmet, um mich weiter anzuschreien. Jetzt fragte er mit gewöhnlicher Stimme: »Was heißt das?«
    »Ich bin dumm, Sire. Erinnern Sie sich doch an die Eugénie aus den alten Tagen. Dumm, unpolitisch, ungebildet.Ich habe leider keinen guten Eindruck auf den schwedischen Hof gemacht. Und da es sehr wichtig ist, dass wir – Jean-Baptiste, Oscar und ich – in Schweden beliebt werden, so bin ich eben zurückgekommen. Das Ganze ist sehr einfach!«
    »So einfach, dass ich es Ihnen nicht glaube, Madame!« Wie ein Peitschenknall klang es. Er begann auf und ab zu laufen. »Vielleicht

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