Désirée
plötzlich. »Natürlich, das gehört zum Beruf. Außerdem möchte ich manches verbessern. In Frankreich haben wir ausschließlich Nonnen als Pflegerinnen. Wissen Königliche Hoheit, wer in schwedischen Spitälern die Kranken pflegt?« – »Fromme gütige Seelen, nicht wahr?«, kam es zögernd. »Nein – ehemalige Prostituierte, Hoheit!« Sie fuhr zusammen. Noch nie im Leben hatte sie dieses Wort ausgesprochen gehört. Sie war sprachlos. – »Ich habe mir die Pflegerinnen angesehen – alte Bettlerinnen, die sich einen Teller Suppe verdienen wollen. Ohne Ausbildung, ohne Interesse für ihre Aufgabe. Ohne den geringsten Begriff von Reinlichkeit. Das will ich ändern, Hoheit.« Die alte Uhr tickte … »Man sagt mir,dass Sie etwas Schwedisch sprechen, Madame«, kam es dann. »Ich bemühe mich, Hoheit. Jean-Baptiste hat keine Zeit, Unterricht zu nehmen. Die einfachen Leute nehmen es ihm nicht übel. Die finden es ganz natürlich, dass einer nur seine Muttersprache kennt. Aber –«
»Unser Adel spricht ausgezeichnet Französisch!«
»Aber die Bürger nehmen selbst Sprachunterricht, und ich habe das Gefühl, dass sie dasselbe von uns erwarten. Deshalb empfange ich jetzt alle Abordnungen der Bürgerschaft auf Schwedisch – so gut ich eben kann, Hoheit.« Sie schien zu schlafen und war so weiß wie ihr gepudertes Haar. Die Uhr tickte, ich hatte Angst, sie könnte plötzlich stehen bleiben. Die sterbende Prinzessin begann mir unendlich Leid zu tun. Kein Familienmitglied an ihrer Seite, den Lieblingsbruder haben sie ihr auf einem Maskenball ermordet, den Neffen für wahnsinnig erklärt und verbannt. Und jetzt muss die Arme auch noch so jemanden wie mich auf dem Thron ihrer Vorväter sehen. »Sie sind eine gute Königin, Madame«, sagte sie unvermittelt. Ich zuckte die Achseln. »Wir tun unser Bestes – Jean-Baptiste, Oscar und ich.« Der Schatten ihres früheren boshaften Lächelns huschte über ihr zerknittertes Gesicht. »Sie sind eine sehr kluge Frau.« Ich sah sie erstaunt an. »Damals – als Ihnen die selige Hedvig Elisabeth vorgeworfen hat, dass Sie nur eine Seidenhändlerstochter seien – da sind Sie aus dem Zimmer gelaufen und haben kurz darauf Schweden verlassen, um erst als Königin zurückzukehren. Das hat man Hedvig Elisabeth hier nie verziehen. Ein Hofstaat ohne junge Kronprinzessin …« Sie kicherte schadenfroh. »Sie haben die Selige bis an ihr Lebensende die Rolle der bösen Schwiegermutter spielen lassen – hihihi!« Diese Erinnerungen schienen sie zu beleben. »Oscar hat die Kinder zu mir gebracht – den kleinen Carl und das Neugeborene.« – »Das Neugeborene heißt auch Oscar«, sagte ichstolz. »Carl sieht Ihnen sehr ähnlich, Madame«, versicherte sie mir. Und ich dachte daran, wie wunderschön es ist, Großmutter zu sein. Die Kinder zu genießen, ohne von ihnen um sechs Uhr früh aufgeweckt zu werden. Josefina schläft wahrscheinlich, so lange sie Lust hat, fiel mir ein, meine Enkel haben ja einen ganzen Hofstaat von Gouvernanten und Pflegerinnen. Ich hatte Oscars Wiege während des ganzen ersten Jahres neben meinem Bett stehen … »Ich hätte gern Kinder gehabt, aber man hat niemals einen geeigneten Gemahl für mich gefunden«, klagte die sterbende Prinzessin. »Oscar behauptet, Sie hätten nichts dagegen, wenn seine Kinder Bürgerliche heiraten. Wie stellen Sie sich das vor, Madame?«
»Darüber habe ich nicht weiter nachgedacht. Aber Prinzen können doch auf ihre Titel verzichten, nicht wahr?«
»Natürlich. Man muss nur neue Namen für sie fin-
den –«, sie überlegte. »Graf Upsala oder Baron Drottningholm oder –« »Wozu denn? Wir haben doch einen guten bürgerlichen Namen – Bernadotte!« Bei den Worten »gut bürgerlich« verzog sich ihr Gesicht schmerzvoll. »Aber die künftigen Bernadottes werden hoffentlich eine Familie von Komponisten, Malern und Dichtern sein«, tröstete ich sie schnell. »Oscar ist doch so musikalisch. Und Josefinas Tante Hortense malt und dichtet. Auch in meiner Familie –« Ich brach ab, sie döste und hörte mir gar nicht zu. Ganz überraschend sprach sie wieder. »Ich wollte mit Ihnen über die Krone sprechen, Madame.«
Sie phantasiert, dachte ich, ihr Geist wandert und nähert sich der Grenze, sie träumt. »Welche Krone?«, fragte ich aus Höflichkeit.
»Die Krone der Königinnen von Schweden.«
Mir wurde plötzlich sehr heiß. Mitten im Stockholmer Winter, in dem ich mich halb tot friere, wurde mir heiß.Ihre Augen waren weit offen, sie
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