Désirée
Republik in Wien gehisst hatte und dass die Wiener daraufhin die Botschaft stürmten, um unsere Fahne herunterzureißen. Ich komme nie dazu, Zeitungen zu lesen, weil Joseph alle Gazetten, die ins Haus kommen, sofort an sich nimmt und in sein Arbeitszimmer trägt. Wenn Julie und ich später die Zeitungen lesen wollten, hat er bereits die wichtigsten Artikel herausgeschnitten. Die nimmt er dann zu Napoleon mit, um mit ihm darüber zu sprechen. Daher war für mich dieser Vorfall in Wien, von dem alle zu wissen schienen, ganz neu. Kaum hatten wir mit den Österreichern Frieden geschlossen und in Wien eine Botschaft errichtet, als es zu diesem Zwischenfall kam. »Sie hätten eben keinen General mit dem Posten eines Botschafters in Wien betrauen sollen, Minister Talleyrand, sondern einen Berufsdiplomaten«, ließ sich Joseph vernehmen. Talleyrand hob die dünnen Augenbrauen und lächelte: »Unsere Republik verfügt noch nicht über genügend Berufsdiplomaten, Monsieur Bonaparte. Wir müssen uns eben behelfen. Sie haben uns auch in Italien geholfen, nicht wahr?«
Das saß. Joseph war nur ein »Aushilfsdiplomat« in denAugen dieses Ministers Talleyrand, der anscheinend unsere auswärtigen Angelegenheiten leitet. »Und übrigens –« Das war die nasale Stimme von Barras. »Und übrigens ist dieser Bernadotte einer der fähigsten Köpfe, über die wir verfügen, finden Sie nicht auch, General Bonaparte? Ich erinnere mich, dass Sie seinerzeit sehr dringend Verstärkungen in Italien benötigt haben. Damals beauftragte der Kriegsminister diesen Bernadotte, Ihnen die beste Division der Rheinarmee nach Italien zu bringen. Und der Gascogner überquerte im tiefsten Winter mit einer ganzen Division innerhalb von zehn Stunden die Alpen. Aufstieg sechs, Abstieg vier Stunden. Wenn ich mich an Ihr damaliges Schreiben richtig erinnere, General, so waren Sie tief beeindruckt.«
»Der Mann ist zweifellos ein ausgezeichneter General, aber –« Joseph zuckte die Achseln: »Diplomat? Politiker?« »Ich glaube, es war richtig, die Fahne der Republik in Wien zu hissen. Warum sollte die französische Botschaft nicht flaggen, wenn alle anderen Gebäude Fahnen aushingen?«, sagte Talleyrand nachdenklich. »General Bernadotte hat nach der Verletzung der Exterritorialität, die unserer Botschaft zugefügt wurde, Wien sofort verlassen. Aber ich glaube, dass die Entschuldigung der österreichischen Regierung noch vor ihm in Paris eintreffen wird.« Talleyrand betrachtete die polierten Fingernägel seiner auffallend schmalen Hand. »Auf jeden Fall konnten wir keinen besseren Mann nach Wien senden«, schloss er. Ein beinahe unmerkliches Lächeln glitt über Barras’ blau rasierte, etwas verschwommene Züge: »Ein Mann mit überraschendem Weitblick. Und – mit politischer Voraussicht.« Der Direktor ließ das Lorgnon sinken und heftete die nackten Augen auf Napoleon. Napoleons Lippen waren schmal, die Ader an der Schläfe pochte. »Ein überzeugter Republikaner«, sprach Barras weiter, »gewillt,jeden äußeren und jeden – inneren Feind der Republik zu vernichten.«
»Und seine nächste Ernennung?« Das war Joseph, unbeherrscht hastig in seiner Eifersucht auf den Botschafter in Wien. Das Lorgnon funkelte wieder: »Die Republik braucht verlässliche Charaktere. Ich könnte mir denken, dass ein Mann, der als gewöhnlicher Rekrut seine militärische Karriere begonnen hat, das Vertrauen der Armee genießt. Und da dieser Mann auch das Vertrauen der Regierung rechtfertigt, so wäre es nur natürlich –«
»Der kommende Kriegsminister!« Das war die Spitznase, dieser Polizeidirektor Fouché. Barras presste sein Lorgnon noch dichter vor die Augen und betrachtete interessiert Theresa Talliens venezianisches Spitzenhemd – weiß der Himmel, es war nicht mehr als ein Hemd –, das vor uns auftauchte. »Unsere schöne Theresa!«, lächelte er und erhob sich schwerfällig. Aber Theresa machte eine abwehrende Geste: »Bleiben Sie nur, Direktor! Und da haben wir ja auch unseren italienischen Helden, ein reizender Nachmittag, General Bonaparte, Josephine sieht bezaubernd aus – und, was höre ich? Sie nehmen den kleinen Eugène als Adjutanten zu den Pyramiden mit? Darf ich Ihnen Ouvrard vorstellen, den Mann, der Ihrer Italienarmee zehntausend Paar Stiefel geliefert hat – Ouvrard, hier haben Sie ihn persönlich – Frankreichs starken Mann!« Das runde kleine Männchen in ihrem Schlepptau verbeugte sich beinahe bis zur Erde. Elisa neben mir stieß mich in
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