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Désirée

Désirée

Titel: Désirée Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Annemaire Selinko
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die Stirn und machte eine Handbewegung, als ob er eine Fliege verscheuche. »Ich werde das noch irgendwie ausarbeiten. Jetzt das Wichtigste: Widersprecht nicht ihrem Bekenntnis. Behandelt es – das ägyptische Volk nämlich –, wie ihr Juden und Italiener behandelt habt. Erweist seinen Muftis und Imams denselben Respekt, den ihr Priestern und Rabbinern erwiesen habt.« Er machte eine Pause und sah uns an: »Nun?«
    »Es ist ein großes Glück für die Ägypter, dass dir die Gesetze der Republik vorschreiben, sie im Namen der Menschenrechte zu befreien«, ließ sich Joseph vernehmen.
    »Was willst du damit sagen?«
    »Dass die Menschenrechte diesem Tagesbefehl zugrunde liegen. Und die hast du nicht erfunden«, meinte Joseph. Sein Gesicht war ausdruckslos. Zum ersten Male seit Jahren fiel mir wieder ein, was ich einst in Marseille gespürt hatte: Er hasst ja seinen Bruder. »Du hast das sehr schön geschrieben, mein Junge«, kam es sofort begütigend von Madame Letitia. »Bitte essen Sie endlich auf, Bonaparte, wir erwarten nach Tisch eine Menge Gäste«, sagte Josephine. Napoleon begann gehorsam, das gute Essen in sich hineinzuschaufeln. Mein Blick fiel zufällig auf Hortense. Das Kind – nein, mit vierzehn ist man ja kein Kind mehr, das weiß ich doch aus eigener Erfahrung – also, dieser eckige Backfisch Hortense, der so gar nicht seiner bezaubernden Mutter ähnelt, starrte mit den etwas vorstehenden wasserblauen Augen ununterbrochen Napoleon an. Kleine rote Flecken brannten auf Hortenses Wangen. Mein Gott, Hortense ist in ihren Stiefvater verliebt, dachte ich und fand das nicht komisch, sondern traurig und beklemmend. »Mama möchte Ihnen zutrinken«, unterbrach Eugène de Beauharnais meine Gedanken. Ich griff schnell nach meinem Glas. Josephines Lächeln grüßte mich. Ganz langsam führte sie das Glas an den Mund, und als sie eswieder niedersetzte, zwinkerte sie mir vertraulich zu. Denn Josephine erinnerte sich genau an – damals. Mit einem »Wir trinken im Salon Kaffee« hob Josephine die Tafel auf. Im Nebenzimmer warteten schon eine ganze Menge Leute auf uns, die den Nachmittag dazu benutzen wollten, um Napoleon gute Reise zu wünschen. Es sah so aus, als ob alle, die einst Madame Tallien besucht hatten, sich jetzt in Josephines kleines Haus in der Rue de la Victoire zu drücken versuchten. Ich betrachtete die Uniformen und flüchtete vor meinen ehemaligen Freiern Junot und Marmont, die den Damen lachend versicherten, dass sie sich in Ägypten die Haare abschneiden lassen wollten. »Wir werden wie römische Helden aussehen und keine Läuse bekommen«, beteuerten sie. »Übrigens eine Idee Ihres Herrn Sohnes, Madame«, behauptete ein sehr flotter Offizier mit schwarzen Kraushaaren, blitzenden Augen und flacher Nase. »Ich zweifle nicht daran, General Murat, mein Sohn hat immer verrückte Ideen«, lächelte Madame Letitia. Der junge Offizier schien ihr zu gefallen. Er war über und über mit Goldschnüren behängt und trug zum blauen Waffenrock goldbestickte weiße Hosen. Madame Letitia hat eine Schwäche für südländische Farbenpracht.
    Ein Ehrengast schien eingetreten zu sein, denn Josephine scheuchte drei junge Leute von einem kleinen Sofa auf. Und wen führte sie auf das Sofa zu? Barras, Direktor der französischen Republik, lila und goldbestickt, Lorgnon vor den Augen. Rechts und links von ihm nahmen sofort Joseph und Napoleon Platz, und hinter ihm lehnte ein magerer Mann, dessen Spitznase ich schon irgendwo gesehen hatte. Natürlich: Einer der beiden Herren aus der Fensternische bei Madame Tallien, ein gewisser Fouché, glaube ich, Eugène – kleine Schweißtropfen auf der Stirn – fühlte sich verpflichtet, den vielen Gästen irgendwie zuSitzplätzen zu verhelfen. Plötzlich drückte er die dicke Elisa und mich auf zwei Stühle nieder, die er direkt vor dem Sofa, auf dem Barras thronte, aufgestellt hatte. Dann wälzte er einen vergoldeten Armstuhl heran und nötigte den »Polizeidirektor« Fouché, sich niederzusetzen. Aber als ein eleganter junger Mann, der leicht hinkte und sein Haar altmodisch überpudert trug, zu uns trat, sprang Fouché gleich wieder auf. »Lieber Talleyrand – nehmen Sie doch bei uns Platz!« Das Gespräch der Herren drehte sich um den Botschafter unserer Republik in Wien, der sich auf der Heimreise befand. Irgendetwas Aufregendes schien in Wien vorgefallen zu sein. Ich entnahm aus dem Gespräch, dass unser Botschafter an einem österreichischen Staatsfeiertag die Fahne der

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