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Désirée

Désirée

Titel: Désirée Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Annemaire Selinko
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ihr, und Madame Letitia zuckte verärgert die Achseln. Wir begannen wieder durcheinander zu sprechen, hielten aber dann plötzlich inne: Im Nebenzimmer schien jemand einen Tobsuchtsanfall bekommen zu haben. Eine Faust schlug auf irgendeinen Tisch oder Kaminsims, und etwas Gläsernes zerschellte klirrend. Gleichzeitig schlüpfte Josephine herein.
    »Wie schön, dass die ganze Familie versammelt ist«, lächelte sie und ging auf Madame Letitia zu. Ihr weißes Kleid umspannte ganz eng die zarte Gestalt, weich und lose lag ein blutroter Samtschal mit Hermelinverbrämung um die nackten Schultern, rutschte hin und her und ließ den kindlichen Nacken sehr weiß erscheinen. Aus dem Nebenzimmer hörten wir jetzt Josephs begütigende Stimme.
    »Lucien – haben Sie nicht einen Sohn, der Lucien heißt, Madame?«, wandte sich jetzt Josephine an Madame Letitia.
    »Mein drittältester Sohn, was ist mit ihm?« Madame Letitia blickte Josephine hasserfüllt an. Eine Schwiegertochter, die sich nicht einmal die Mühe nimmt, die Namen ihrer Schwäger und Schwägerinnen auswendig zu lernen. »Er hat Napoleon geschrieben, dass er geheiratet hat«, sagte Josephine. »Das weiß ich«, antwortete Madame Letitia, und ihre Augen wurden schmal: »Ist mein zweitältester Sohn vielleicht mit der Wahl seines Bruders nicht einverstanden?« Josephine zuckte mit den zarten Schultern und lächelte. »Es sieht so aus, nicht wahr? Hören Sie nur, wie er schreit!« Der Tobsuchtsanfall nebenan schien sieungemein zu belustigen. Da flog die Tür auf, Napoleon stand in ihrem Rahmen. Das magere Gesicht war zornrot. »Mutter! Hast du gewusst, dass Lucien sich mit der Tochter eines Wirtshausbesitzers verheiratet hat?« Madame Letitia maß Napoleon von oben bis unten. Ihr Blick glitt vom wirren rotbraunen Haar, das unordentlich bis zu den Schultern hing, über die betont schlichte Uniform, die vom besten Militärschneider genäht worden sein musste, bis zu den Spitzen der blank geputzten und sehr schmalen eleganten Stiefel. »Was ist dir an deiner Schwägerin Christine Boyer aus St. Maximin nicht recht, Napoleone?«
    »Ja, versteht ihr mich denn nicht? Die Tochter eines Gastwirtes – ein Dorftrampel, der jeden Abend in einer Schenke die Bauern der Umgebung bedient? Mutter, ich begreife dich nicht!«
    »Christine Boyer ist, soviel ich weiß, ein sehr braves Mädchen und besitzt den besten Ruf«, sagte Madame Letitia, und ihre Augen streiften flüchtig Josephines schmale weiße Gestalt.
    »Schließlich können wir nicht alle ehemalige – mhm – Gräfinnen heiraten!«
    Das war Josephs Stimme. Josephines Nasenflügel begannen unmerkbar zu zittern, aber ihr Lächeln versteifte sich nur. Ihr Sohn Eugène wurde brennend rot. Napoleon fuhr herum und starrte Joseph an. An seiner rechten Schläfe pochte die kleine Ader. Dann fuhr er sich mit der Hand über die Stirn, wandte sich abrupt von Joseph ab und sagte schneidend: »Ich habe das Recht, von meinen Brüdern standesgemäße Ehen zu erwarten. Mutter, ich wünsche, dass du Lucien umgehend schreibst, dass er sich scheiden oder seine Ehe als ungültig erklären lassen muss. Schreibe ihm, dass ich es verlange. Josephine, können wir nicht endlich essen?«
    Im gleichen Augenblick fiel sein Blick auf mich. DenBruchteil einer Sekunde hielten unsere Augen einander fest. Da war es – das gefürchtete, verhasste und heiß ersehnte Wiedersehen. Schnell löste er sich aus dem Türrahmen, schob die eckige Hortense, die ihm im Weg stand, zur Seite und griff nach meinen Händen. »Eugénie! Ich freue mich so, dass Sie unsere Einladung angenommen haben …« Seine Augen ließen mein Gesicht nicht los, jetzt lächelte er, die mageren Züge wirkten so jung und unbeschwert. Wie damals, als er Mama versprach, bis zu meinem sechzehnten Geburtstag mit der Hochzeit zu warten. »Sie sind sehr schön geworden, Eugénie.« Dann: »Und erwachsen, ganz erwachsen!« Ich löste meine Hände aus den seinen. »Schließlich bin ich schon achtzehn.« Es klang ungeschickt und unsicher. »Und wir haben einander lange nicht gesehen, General.« Das war schon besser. »Ja – es ist lang her. Zu lang, Eugénie, nicht wahr? Das letzte Mal – wo haben wir einander nur zuletzt gesehen?« Er suchte meinen Blick und lachte. Kleine Funken tanzten in seinen Augen, während er an unsere letzte Begegnung dachte und sie sehr komisch fand. Ungeheuer komisch.
    »Josephine! Josephine, du musst Eugénie kennen lernen, die Schwester von Julie! Ich habe dir doch so

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