Désirée
dachte ich. Ich kenne ihn, er wird zurückkommen und die Republik zerstören, wenn er eine Möglichkeit dazu sieht. Nichts liegt ihm an der Republik, nichts an den Rechten ihrer Bürger, nicht begreifen wird er einen Mann wie Jean-Baptiste, nie begriffen hat er solche Männer. »Meine kleine Tochter, wann immer und wo immer Menschen in Zukunft ihren Brüdern das Recht der Freiheit und Gleichheit nehmen, niemand wird von ihnensagen: Herr, vergib ihnen, denn sie wissen nicht, was sie tun.« Jean-Baptiste und Papa hätten einander verstanden.
Als es elf Uhr schlug, trat Marie herein, hob Oscar aus der Wiege und legte ihn mir an die Brust. Auch Jean-Baptiste kam herauf, er weiß, dass ich um diese Stunde Oscar seine Nachtmahlzeit gebe.
»Er wird zurückkommen, Jean-Baptiste«, sagte ich.
»Wer?«
»Der Taufpate unseres Sohnes. Wie wirst du dich verhalten?«
»Wenn ich die nötigen Vollmachten erhalte, werde ich ihn erschießen lassen.«
»Und – wenn nicht?«
»Dann wird er sich wahrscheinlich die nötigen Vollmachten nehmen und mich erschießen lassen. Gute Nacht, kleines Mädchen!«
»Gute Nacht, Jean-Baptiste.«
»Aber zerbrich dir nicht mehr den Kopf darüber, ich habe natürlich nur Spaß gemacht.«
»Ich verstehe, Jean-Baptiste, gute Nacht!«
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Paris, 18. Brumaire des Jahres VII.
(Im Ausland: 9. November 1799,
unsere Republik erhält eine
neue Verfassung!)
E r ist zurückgekommen.
Und hat heute einen Coup d’État durchgeführt und ist seit ein paar Stunden Frankreichs Staatsoberhaupt. Mehrere Abgeordnete und Generäle sind bereits verhaftet worden. Jean-Baptiste sagt, dass wir jeden Augenblick eine Hausdurchsuchung der Staatspolizei erwarten können. Es wäre unausdenkbar schrecklich für mich, wenn mein Tagebuch zuerst dem Polizeidirektor Fouché und dann Napoleon selbst in die Hände fallen würde. Die beiden würden sich über mich halb totlachen … Deshalb beeile ich mich, noch in dieser Nacht alles, was sich zugetragen hat, aufzuschreiben. Dann werde ich das Schloss des Buches versperren und meine Aufzeichnungen Julie zur Aufbewahrung geben. Schließlich ist Julie die Schwägerin unseres neuen Machthabers, und Napoleon wird hoffentlich niemals seine Polizei in ihrer Kommode herumkramen lassen.
Ich sitze im Salon unseres neuen Hauses in der Rue Cisalpine. Im Speisezimmer nebenan höre ich Jean-Baptiste auf und ab gehen. Auf und ab, auf und ab. »Wenn du gefährliche Aufzeichnungen hast, dann gib sie mir! Ich bringe sie morgen früh mit meinem Tagebuch zu Julie!«, habe ich ihm soeben zugerufen. Aber Jean-Baptiste hat nur den Kopf geschüttelt: »Ich habe keine – wie drückst du dich aus? – ja, gefährliche Aufzeichnungen. Und meine Ansicht über seinen Hochverrat kennt Bonaparte genau.« Fernand machte sich im Zimmer zu schaffen, und ich fragte ihn, ob noch immer so viele Leute in schweigendenGruppen vor unserem Hause herumstehen. Er bejahte. »Was wollen nur diese Leute?«, zerbrach ich mir den Kopf. Fernand steckte eine neue Kerze in den Leuchter vor mir und sagte: »Sie warten, was mit unserem General geschieht. Es heißt, dass unser General von den Jakobinern aufgefordert worden ist, das Kommando über die Nationalgarde zu übernehmen –« Fernand kratzte sich geräuschvoll und nachdenklich den Schädel und überlegte, ob er mir die Wahrheit sagen sollte. Ja, und die Leute glauben, dass unser General verhaftet werden wird. Den General Moreau haben sie nämlich schon geholt.«
Ich bereite mich auf eine lange Nacht vor. Jean-Baptiste rennt nebenan auf und ab, ich schreibe, die Stunden tropfen, wir warten. Ja, er kam ganz plötzlich zurück. Genauso, wie ich es vorausgeahnt hatte. Vier Wochen und zwei Tage ist es her, da sprang um sechs Uhr morgens ein erschöpfter Kurier vor Josephs Haus vom Pferd und meldete: »General Bonaparte ist ganz allein mit seinem Sekretär Bourrienne im Hafen Frejus gelandet. In einem winzigen Handelsschiff, das allen Fallen der Engländer entging. Er hat eine Extrapost gemietet und wird jeden Augenblick in Paris eintreffen.« Joseph kleidete sich hastig an, holte Lucien ab, und beide Brüder nahmen dann in der Rue de la Victoire Aufstellung. Ihre Stimmen weckten Josephine auf. Als sie erfuhr, was geschehen war, riss sie ihr neuestes Kleid aus dem Schrank, packte mit fliegenden Händen ihre Schmuckkassette zusammen und stürzte sich wie eine Verrückte in ihren Wagen. Dann fuhr sie Napoleon durch die südlichen Vorstädte entgegen. Erst im Wagen
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