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Désirée

Désirée

Titel: Désirée Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Annemaire Selinko
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vorausgesagt.«
    »Ich wollte mich nicht so krass ausdrücken. Da jedoch keine entscheidenden Entwicklungen in Afrika bevorstehen, könnte man doch die Fähigkeiten meines Bruders an anderen Fronten viel besser ausnützen. Und Napoleon ist schließlich nicht nur Stratege. Sie kennen selbst seine organisatorischen Interessen, er könnte Ihnen hier in Paris bei der Reorganisation der Armee außerordentliche Dienste leisten. Überdies –« Joseph zögerte und wartete auf einen Einwurf. Jean-Baptiste schwieg, ruhig und schützend lag seine Hand auf der meinen. »Sie wissen, dass sich eine Menge Konspirationen gegen die Regierung vorbereiten?«, kam es jetzt von Joseph. »Das kann mir als Kriegsminister nicht unbekannt sein. Was hat dies jedoch mit dem Oberbefehlshaber unseres ägyptischen Expeditionskorps zu tun?«
    »Die Republik braucht einen – ja, sie braucht mehrere starke Männer. In Kriegszeiten kann sich Frankreich diese Partei-Intrigen und innerpolitischen Differenzen nicht leisten.«
    »Sie schlagen also vor, dass ich Ihren Bruder zurückberufen soll, um die verschiedenen Konspirationen niederzuschlagen. Verstehe ich Sie recht?«
    »Ja, ich dachte, dass –«
    »Konspirationen aufzudecken ist Aufgabe der Polizei. Nicht mehr, nicht weniger.«
    »Natürlich, wenn es sich um staatsfeindlicheKonspirationen handelt. Ich kann Ihnen aber verraten, dass einflussreiche Kreise daran denken, eine Konzentration aller positiven politischen Kräfte herbeizuführen.«
    »Was verstehen Sie unter einer Konzentration aller positiven politischen Kräfte?«
    »Zum Beispiel, wenn Sie selbst und Napoleon, die beiden fähigsten Köpfe der Republik –«
    Weiter kam er nicht. »Hören Sie auf zu faseln! Sagen Sie klipp und klar: Um die Republik von Parteipolitik zu befreien, denken gewisse Personen an die Einführung einer Diktatur. Mein Bruder Napoleon wünscht aus Ägypten zurückberufen zu werden, um sich um die Stellung eines Diktators zu bewerben. Seien Sie doch aufrichtig, Bonaparte!« Joseph räusperte sich unangenehm berührt. Dann: »Ich habe heute mit Talleyrand gesprochen. Der Exminister meint, dass Direktor Sieyès nicht abgeneigt wäre, eine Verfassungsänderung zu unterstützen.«
    »Ich weiß, was sich Talleyrand vorstellt, ich weiß auch, was einzelne Jakobiner wünschen, und ich kann Ihnen sogar verraten, dass vor allem die Royalisten ihre ganze Hoffnung auf eine Diktatur setzen. Was mich betrifft, so habe ich den Eid auf die Republik abgelegt und respektiere unter allen Umständen unsere Verfassung. Ist Ihnen diese Antwort deutlich genug?«
    »Sie werden verstehen, dass einen Mann von Napoleons Ehrgeiz dieser Müßiggang in Ägypten zur Verzweiflung treiben kann. Außerdem hat mein Bruder in Paris wichtige Privatangelegenheiten zu ordnen. Er beabsichtigt nämlich, sich scheiden zu lassen. Josephines Untreue hat ihn tief getroffen. Wenn mein Bruder nun in seiner Verzweiflung eigenmächtig den Beschluss fassen würde, zurückzukehren – was dann?« Jean-Baptistes Finger krampften sich eisern um meine Hand. Aber nur einen flüchtigen Augenblick lang. Dann erschlafften sie wieder, und ich hörteJean-Baptiste ruhig sagen: »Dann wäre ich als Kriegsminister genötigt, Ihren Bruder vor ein Militärgericht zu stellen, und nehme an, dass er als Deserteur verurteilt und erschossen werden wird.«
    »Aber Napoleon als glühender Patriot kann nicht länger in Afrika –«
    »Ein Oberbefehlshaber gehört zu seinen Truppen. Er hat diese Truppen in die Wüste geführt, und er muss bei ihnen verweilen, bis irgendeine Möglichkeit gefunden wird, sie zurückzubringen. Das muss selbst ein Zivilist wie Sie einsehen, Monsieur Bonaparte.«
    Dann entstand ein Schweigen, das immer drückender wurde. »Ihr Roman ist so spannend geschrieben, Joseph«, sagte ich schließlich. »Ja, man gratuliert mir auch von allen Seiten«, bemerkte Joseph in seiner gewohnten Bescheidenheit und erhob sich endlich. Jean-Baptiste begleitete ihn hinunter.
    Ich versuchte einzuschlafen. Im Halbschlaf erinnerte ich mich an ein kleines Mädchen, das mit einem unscheinbaren, mageren Offizier um die Wette lief und an einer mondhellen Hecke Halt machte. Unheimlich weiß wirkte das verkrampfte Gesicht des Offiziers im Mondschein. »Ich zum Beispiel – ich spüre mein Schicksal. Meine Bestimmung«, sagte der Offizier. Das junge Mädchen kicherte. »Du glaubst an mich, Eugénie, nicht wahr? Was immer auch geschieht?« Er wird plötzlich aus Ägypten zurückkommen,

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