Désirée
bestimmt nicht. Übrigens wirst du ihn ja Sonntag selbst sehen, ihr kommt doch zum Mittagessen nach Mortefontaine?«
Vornehme Pariser besitzen ein Landhaus, und Dichter irgendeinen Garten, in dessen Schatten sie sich zurückziehen können. Da sich Joseph sowohl als vornehmer Pariser als auch als Dichter fühlt, hat er die reizende Villa Mortefontaine mit dem dazugehörenden großen Park gekauft. Eine Wagenstunde von Paris entfernt. Und nächsten Sonntag sollten wir dort gemeinsam mit Napoleon und Josephine speisen.
Es wäre bestimmt niemals zu den Ereignissen des heutigen Tages gekommen, wenn Jean-Baptiste bei der Rückkehr Napoleons noch Kriegsminister gewesen wäre. Aber kurz vorher hatte er wieder eine seiner heftigen Auseinandersetzungen mit Direktor Sieyès, und in seinem Ärger suchte er um seinen Rücktritt nach. Wenn ich jetzt alles überlege und daran denke, dass Sieyès Napoleon bei seinem Putsch unterstützt hat, so kommt es mir sehr wahrscheinlich vor, dass dieser Direktor Napoleons Rückkehr vorausahnte und jene Szene absichtlich herbeiführte, um Jean-Baptiste zur Demission zu zwingen. Jean-Baptistes Nachfolger wagte nicht, Napoleon vor ein Kriegsgericht zu stellen, weil sich einzelne Generäle und der Kreis der Abgeordneten, der sich um Joseph und Lucien scharte, zu sehr über seine Heimkehr freuten. In jenen Herbsttagen erhielt Jean-Baptiste viele Besuche. General Moreau kambeinahe täglich und erklärte, man müsse vonseiten der Armee einschreiten, wenn Bonaparte »es« wagen sollte. Ein Trupp jakobinischer Gemeinderäte von Paris marschierte auf und fragte an, ob General Bernadotte das Kommando über die Nationalgarde übernehmen würde, wenn es zu Unruhen käme. Jean-Baptiste antwortete ihnen, dass er dieses Kommando sehr gern übernehmen wollte, aber er müsse zuerst damit betraut werden. Dies könne jedoch nur die Regierung, das heißt der Kriegsminister veranlassen. Worauf die Gemeinderäte enttäuscht abzogen.
Am Vormittag jenes Sonntags, an dem wir nach Mortefontaine sollten, hörte ich plötzlich eine sehr wohl bekannte Stimme in unserem Salon. »Eugénie – ich will mein Patenkind sehen!« Ich lief hinunter, und da stand er, braun gebrannt, mit kurz geschorenen Haaren. »Wir wollen Sie und Bernadotte überraschen. Sie beide sind doch auch in Mortefontaine eingeladen, und da haben Josephine und ich gedacht, wir könnten Sie abholen. Ich muss doch Ihren Sohn kennen lernen und das neue Haus bewundern, und Kamerad Bernadotte habe ich seit meiner Rückkehr noch nicht gesehen!« – »Sie sehen ausgezeichnet aus, meine Liebe«, kam es jetzt von Josephine, die schmal und graziös an der Verandatür lehnte. Jean-Baptiste erschien, und ich lief in die Küche und bat Marie, Kaffee zu kochen und Likör zu servieren. Als ich zurückkam, hatte Jean-Baptiste bereits Oscar geholt, und Napoleon beugte sich über unser Bündelchen, machte »titititi« und versuchte es am Kinn zu kitzeln. Oscar ließ sich das nicht gefallen und begann schrill zu weinen. »Für Nachwuchs in der Armee wird gesorgt, Kamerad Bernadotte!«, lachte Napoleon und klapste Jean-Baptiste freundschaftlich auf den Arm. Ich rettete unseren Sohn aus den Armen seines Vaters, der ihn steif von sich abhielt und behauptete, er sei ausgesprochen feucht.
Während wir Maries bittersüßen Kaffee tranken, verwickelte mich Josephine in ein Gespräch über Rosen. Rosen sind ihre Leidenschaft, und ich hatte bereits gehört, dass sie in Malmaison einen kostbaren Rosengarten anlegen lassen will. Nun entdeckte sie, dass vor unserer Veranda einige recht kümmerliche Rosenbäumchen angepflanzt sind, und wollte wissen, ob und wie ich sie pflege. Deshalb hörte ich dem Gespräch zwischen Jean-Baptiste und Napoleon nicht zu. Aber Josephine und ich verstummten plötzlich, weil Napoleon sagte:
»Ich höre, dass Sie mich, wenn Sie noch Kriegsminister wären, vor ein Kriegsgericht stellen und erschießen lassen würden, Kamerad Bernadotte. Was werfen Sie mir eigentlich vor?«
»Ich glaube, Sie kennen unser Dienstreglement ebenso gut wie ich, Kamerad Bonaparte«, sagte Jean-Baptiste und fügte lächelnd hinzu: »Besser noch, nehme ich an. Sie hatten den Vorzug, die Kriegsakademie zu besuchen und Ihren aktiven Dienst als Offizier zu beginnen, während ich sehr lange als Gemeiner diente, wie Sie vielleicht gehört haben.«
Napoleon beugte sich vor und suchte Jean-Baptistes Blick. In diesem Augenblick wurde mir die Veränderung, die mit ihm vorgegangen war,
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