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Désirée

Désirée

Titel: Désirée Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Annemaire Selinko
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schneller, immer schneller, zuletzt ohne Unterbrechung, in Stücke riss es mich, riss mich – riss mich –, bis ich in einen tiefen Schacht fiel und nichts mehr wusste. Die Stimme der Riesin, wieder rau und gleichgültig: »Es geht zu Ende, Herr Doktor Moulin.«
    »Vielleicht hält sie doch durch, Bürgerin, wenn nur die Blutungen aufhören.« Irgendetwas wimmerte im Zimmer. Hoch und quiekend. Ich möchte gern die Augen aufmachen, aber die Lider sind wie Blei. »Jean-Baptiste – ein Sohn! Ein wunderschöner kleiner Sohn«, schluchzt Julie. Auf einmal kann ich die Augen öffnen. Weit, so weit es nur geht. Jean-Baptiste hat einen Sohn. Julie hält ein kleines Bündel weißer Tücher in den Armen, und Jean-Baptiste steht neben ihr. »So klein ist also ein kleines Kind!«, sagt er erstaunt und wendet sich ab und tritt ans Bett. Und kniet nieder und nimmt meine Hand und legt sie an seine Wange. Ganz unrasiert ist die Wange. Und – ja, und nass. Können auch Generäle weinen? »Wir haben einen wunderbaren Sohn, er ist noch klein«, berichtete er. »Das ist immer so – am Anfang«, forme ich. Meine Lippen sind zerbissen, dass ich kaum sprechen kann. Jetzt zeigt mir Julie das Bündel. Zwischen den Tüchern guckt ein krebsrotes Gesichtlein hervor. Das Gesichtlein hat die Augen zugepresst und sieht beleidigt aus. Vielleicht ist es nicht gern zur Welt gekommen.
    »Ich bitte alle, das Zimmer zu verlassen, die Gattinunseres Kriegsministers braucht Ruhe«, rief der Arzt. »Die Gattin unseres Kriegsministers – meint er damit mich, Jean-Baptiste?«
    »Ich bin seit vorgestern Kriegsminister von Frankreich«, sagte Jean-Baptiste. »Und ich habe dir nicht einmal gratuliert«, murmelte ich. »Du warst ja sehr beschäftigt«, lächelte er. Dann legte Julie das kleine Bündel in die Wiege, und nur der Arzt und die Riesin blieben im Zimmer, und ich schlief ein.
    Oscar.
    Ein ganz neuer Name, den ich noch nie gehört habe. Oscar … klingt eigentlich hübsch. Angeblich ein nordischer Name. Mein Sohn wird also einen nordischen Namen führen und Oscar heißen. Es ist eine Idee Napoleons, und Napoleon will nämlich durchaus Taufpate werden. Auf den Namen »Oscar« ist er verfallen, weil er momentan in seinem Wüstenzelt die keltischen Heldengesänge des Ossian liest. Als ihn einer der geschwätzigen Briefe Josephs mit der Nachricht, dass ich ein Kind erwarte, erreicht hat, schrieb er: »Wenn es ein Sohn wird, muss Eugénie ihn Oscar nennen. Und ich will Pate stehen!« Von Jean-Baptiste, der schließlich auch in dieser Angelegenheit etwas zu sagen hat, kein Wort. Als wir Jean-Baptiste diesen Brief zeigten, lächelte er. »Wir wollen deinen alten Anbeter nicht beleidigen, kleines Mädchen. Meinethalben kann er Taufpate unseres Jungen werden, und Julie soll ihn bei der Taufe vertreten. Der Name Oscar –«
    »Es ist ein scheußlicher Name«, sagte Marie, die sich gerade im Zimmer befand. »Ein nordischer Heldenname«, warf Julie, die uns Napoleons Brief gebracht hatte, ein.
    »Aber unser Sohn ist weder nordisch noch heldenhaft«, sagte ich und betrachtete das winzige Gesichtlein meines Bündels, das ich im Arm hielt. Das Gesichtlein ist jetztnicht mehr rot, sondern gelb. Mein Sohn hat nämlich Gelbsucht, aber Marie behauptet, dass die meisten Neugeborenen ein paar Tage nach der Geburt Gelbsucht bekommen. »Oscar Bernadotte klingt ausgezeichnet«, sagte Jean-Baptiste, und damit war für ihn die Angelegenheit erledigt. »In vierzehn Tagen übersiedeln wir, wenn es dir recht ist, Désirée.«
    In vierzehn Tagen übersiedeln wir in ein neues Haus. Ein Kriegsminister muss in Paris wohnen, und deshalb hat Jean-Baptiste eine kleine Villa zwischen der Rue Courcelles und der Rue du Rocher in der Rue Cisalpine gekauft, um die Ecke von Julie. Viel größer als unser Häuschen in Sceaux ist sie auch nicht, aber jetzt werden wir wenigstens neben dem Schlafzimmer ein richtiges Kinderzimmer haben und außer dem Esszimmer noch einen Salon, damit Jean-Baptiste irgendwo die Beamten und Politiker empfangen kann, die ihn abends oft aufsuchen. Momentan spielt sich alles bei uns im Esszimmer ab.
    Mir selbst geht es herrlich. Marie kocht mir lauter Lieblingsspeisen, und ich bin gar nicht mehr so schwach – ich kann mich schon allein aufsetzen. Leider habe ich den ganzen Tag über Besuch, das macht mich sehr müde. Josephine war hier und sogar Theresa Tallien und auch die Schriftstellerin mit dem Mopsgesicht, diese Madame de Staël, die ich nur ganz flüchtig

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