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Désirée

Désirée

Titel: Désirée Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Annemaire Selinko
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richtig klar. Die kurzen Haare ließen seinen Kopf rund und seine hageren Wangen voller erscheinen. Mir war übrigens nie aufgefallen, wie scharf markiert sein Kinn war. Beinahe eckig sprang es vor. Aber all dies unterstrich nur die Veränderung und bewirkte sie nicht. Entscheidend war nämlich sein Lächeln. Dieses einst so geliebte und später von mir gefürchtete Lächeln, das früher nur selten und sehr flüchtig das angespannte Gesicht erhellt hatte. Plötzlich verließ es seinen Mund nicht mehr, war werbend geworden, bettelte und forderte zugleich. Aber was forderte eigentlich diesesunausgesetzte Lächeln und – wem galt es? Jean-Baptiste natürlich. Jean-Baptiste sollte gewonnen, sollte zum Freund, zum Vertrauten, zum begeisterten Anhänger werden. »Ich kehre aus Ägypten zurück, um mich dem Vaterland neuerlich zur Verfügung zu stellen, da ich meine afrikanische Mission als beendet betrachte. Gleichzeitig sagen Sie, dass Frankreichs Grenzen gesichert sind, dass Sie als Kriegsminister versucht haben, hunderttausend Mann Infanterie und vierzigtausend Mann Kavallerie aufzustellen. Die paar tausend Mann, die ich in Afrika zurückließ, können daher für die französische Armee, die Sie um hundertvierzigtausend Mann vergrößert haben, nichts bedeuten. Während ein Mann wie ich für die Republik in ihrer gegenwärtig so verzweifelten Lage –« »Die Lage ist gar nicht so verzweifelt«, sagte Jean-Baptiste. »Nicht?«, lächelte Napoleon. »Seit dem Augenblick meiner Rückkehr erzählt man mir von allen Seiten, die Regierung sei nicht mehr Herrin der Lage. Die Royalisten machen sich wieder in der Vendée bemerkbar, und gewisse Kreise in Paris korrespondieren offen mit den Bourbonen in England. Der Manège-Klub dagegen bereitet eine jakobinische Revolution vor. Sie wissen wahrscheinlich, dass der Manège-Klub das Direktorium zu stürzen beabsichtigt, Kamerad Bernadotte?« »Was den Manège-Klub betrifft, so sind Sie bestimmt besser über dessen Ziele und Absichten unterrichtet als ich«, sagte Jean-Baptiste langsam. »Ihre Brüder Joseph und Lucien haben ihn nämlich gegründet und leiten seine Sitzungen.«
    »Meiner Ansicht nach ist es Pflicht der Armee und ihrer Führer, alle positiven Kräfte zu sammeln, für Ruhe und Ordnung zu bürgen und eine Regierungsform zu finden, die den Idealen der Revolution würdig ist«, kam es beschwörend von Napoleon.
    Da mich das Gespräch langweilte, wandte ich michwieder Josephine zu. Aber zu meinem Erstaunen hingen ihre Blicke voll gespannter Aufmerksamkeit an Jean-Baptiste, als ob seine Antwort entscheidend sei. »Jedes Eingreifen der Armee oder ihrer Führer, um eine Verfassungsänderung gewaltsam herbeizuführen, betrachte ich als Hochverrat«, lautete Jean-Baptistes Antwort.
    Das werbende Lächeln verließ noch immer nicht Napoleons Gesicht. Bei dem Wort Hochverrat hob Josephine die schmal gezupften Brauen. Ich schenkte frischen Kaffee ein.
    »Wenn man nun von allen Seiten – ich betone, von allen Seiten – an mich herantreten und mir vorschlagen würde, eine Konzentration aller positiven Kräfte herbeizuführen und mit Hilfe aufrechter Männer eine neue Verfassung auszuarbeiten, die den wahren Wünschen des Volkes entspricht – Kamerad Bernadotte, würden Sie mir beistehen? Darf der Kreis der Männer, der die Ideen der Revolution verwirklichen will, auf Sie zählen? Jean-Baptiste Bernadotte – darf Frankreich mit Ihnen rechnen?« Napoleons graue Augen saugten sich an Jean-Baptiste fest und schimmerten feucht. Klirrend setzte Jean-Baptiste seine Tasse nieder: »Hören Sie einmal, Bonaparte, wenn Sie gekommen sind, um mich bei einer Tasse Kaffee zum Hochverrat aufzufordern, dann muss ich Sie bitten, mein Haus zu verlassen.« Weggewischt war der feuchte Glanz in Napoleons Augen, unheimlich wirkte jetzt sein mechanisches Lächeln. »Sie würden also mit der Waffe in der Hand gegen jenen Kreis Ihrer Kameraden, der von der Nation betraut wurde, die Republik zu retten, vorgehen?« Tiefes Lachen zerschnitt plötzlich die Spannung, herzlich und unbeherrscht schüttelte sich Jean-Baptiste vor Heiterkeit: »Kamerad Bonaparte, Kamerad Bonaparte! Während Sie in Ägypten in der Sonne gelegen sind, hat man mir nicht ein-, sondern mindestens drei- oder viermal angedeutet,dass ich den starken Mann spielen und, gedeckt von den Bajonetten unserer Truppen, so etwas wie eine – wie nennen Sie es und Ihr Bruder Joseph? – ja, eine Konzentration aller positiven Kräfte herbeiführen

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