Dessen, S
aus Angst und Unausweichlichkeit. »Du versetzt mich?!«, fragte ich. »Im Ernst? Schon wieder?«
Er zuckte förmlich zusammen. »Ich weiß. Es ist das Letzte. Ich könnte verstehen, wenn du nie wieder ein Wort mit mir sprichst.«
Hier hätte ich wohl beschwichtigend ›Aber nein, natürlich nicht …‹ antworten sollen. Doch ich schwieg. Wartete auf die Ausrede. Es gab immer eine Ausrede.
»Es ist nur so, heute Abend hält jemand einen wichtigen Vortrag«, sagte Jason hastig. »Eine Doktorandin, die in puncto Studenteninitiativen schon sehr viel erreicht hat. Sie war erst in Harvard, jetzt schreibt sie in Yale ihre Jura-Dissertation über ein Thema, das bildungspolitisch ganz viel verändern könnte. Deshalb ist der Kontakt total wichtig für mich.«
Ich schwieg weiter. Adam kam wieder aus dem Laden, dieses Mal mit einem etwas kleineren, grünen Fahrrad. Es hatte dickere Reifen, einen glänzenden, schwarzen Sattel und war so sorgfältig poliert, dass es im Sonnenlicht funkelte. VIEL SPASS MIT MIR stand auf dem Schild am Lenker, das leicht im Wind hin und her pendelte.
»Der Vortrag ist zwar schon heute Nachmittag«, fuhr Jason fort. »Doch anschließend geht sie mit ein paar Konferenzteilnehmern essen. Zunächst hieß es, Erstsemester würden grundsätzlich nicht eingeladen, aber offenbar hat sie von meiner Recycling-Aktion gehört, die ich im vorletzten Highschooljahr initiiert habe, deshalb …«
Ich beobachtete Adam, der ein drittes Rad aus dem Laden schob, ein Tandem mit dem Schild SEHT IHR SÜSS AUS! Um die Worte war ein Herz gemalt.
»Ich darf mir diese Gelegenheit nicht entgehen lassen. Tut mir wirklich leid.« Jason war endlich fertig.
Im selben Moment wurde mir etwas bewusst. Ich regte mich nicht darüber auf, dass Jason mich schon wieder versetzte. Mein Herzklopfen, mein erhitztes Gesicht: So fühlte man sich zwar, wenn es wehtat, aber auch, wenn man direkt danach wieder aufstieg und weitermachte. Vielleicht war sowieso nie vorgesehen gewesen, dass Jason Teil meiner zweiten Chance war. Und das, was gerade passierte, war bloß der kleine Stupser, den ich und das Schicksal brauchten.
»Weißt du was?«, sagte ich zu ihm. »Ist schon okay.«
Er sah mich verdutzt an. »Ehrlich?«
»Ehrlich.« Ich horchte in mich hinein. Und merkwürdigerweise war es tatsächlich die reine Wahrheit. »Ja. Ich komme damit klar.«
»Ehrlich?«, wiederholte er.
Ich nickte.
»Ist ja irre. Danke, Auden, danke, dass du mich verstehst. Ich dachte, du würdest supersauer auf mich werden. Andererseits wundert es mich nicht. Schließlich gehörst du definitiv zu den Menschen, die nachvollziehen können, wie wichtig Studieren ist und Uni und all das. Ich meine, das ist eine einmalige Chance, so eine bekommt man im Leben nicht oft und …«
Ich ließ ihn einfach reden. Und stehen. Ging um ihn herum, auf den Fahrradladen zu. Irgendwo in meinem Rücken hörte ich, wie er etwas von Verständnis und Verpflichtung, von Verbindlichkeit und Zukunftsplänen faselte, all die Phrasen, die ich so gut kannte. Ganz andersals das, was ich nun vor mir hatte. Aber ich hatte in diesem Sommer gelernt, dass es nicht nur darauf ankam, wo man hinging, sondern auch, wie man dorthin kam. Deshalb nahm ich im Vorbeilaufen das Schild von dem grünen Fahrrad – VIEL SPASS MIT MIR – und ging hinein, um den ersten Schritt zu tun.
***
»Rate mal, was passiert ist«, sagte Maggie, kaum hatte ich das
Clementine's
betreten.
»Was?«
Sie klatschte in die Hände. »Ich habe ein Date für den Ball.«
»Rate mal, was passiert ist!«, sagte ich.
»Was?«
»Ich nicht.«
Sie sah mich perplex an.
»Ach so, ja, und ich hab mir ein Fahrrad gekauft«, fügte ich hinzu.
»Bitte was?«, fragte sie. Doch ich ging bereits an ihr vorbei. Sie folgte mir und vertröstete ein paar Kundinnen am Jeansständer auf später. Als ich die Tür zum Büro öffnete, trat sie mir quasi in die Hacken.
»Moment, noch mal ganz langsam und von vorn.« Sie hielt beide Hände hoch.
»Aber die Kundinnen«, wandte ich ein.
»Manchmal muss man Prioritäten setzen«, sagte sie. »Was meinst du damit, du hast kein Date?«
»Genau das, was ich sage.« Ich setzte mich an den Schreibtisch. »Jason hat mich abblitzen lassen.«
»Schon wieder?!«
Ich nickte.
»Wann?«
»Vor ungefähr zwanzig Minuten.«
»Das gibt’s nicht!« Sie hielt sich entsetzt die Hand vor den Mund, sah so fertig aus, als wäre jemand gestorben. »Das ist ja der absolute Horror!«
»Nein.« Ich
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