Dessen, S
zog und zerrte missmutig an dem roten Fummel. »Wir gehen auf eine Party. Nicht auf ein Seminar, wo wir den Mond antanzen und uns weibliche Solidarität schwören.«
»Aber es ist vielleicht unsere letzte große, gemeinsame Aktion, ehe wir in verschiedene Städte ziehen«, fuhr Maggie unbeirrbar fort. »Wir haben Ende August, der Sommer ist praktisch vorbei.«
»Stopp!« Esther zeigte vorwurfsvoll mit dem Finger auf sie. »Denk an die Regeln. Wir waren uns einig: keine nostalgischen Anwandlungen, ehe wir zwanzig sind.«
»Ich weiß«, antwortete Maggie leicht betreten, setzte sich aufs Bett, breitete das schwarze Kleid über ihren Knien aus. »Ich kann es nur einfach nicht fassen, dass unser Leben, so wie es war, bald vorbei ist. Nächstes Jahr um diese Zeit wird alles anders sein.«
»Hoffentlich.«
»Leah!«
Leah, die sich prüfend im Spiegel betrachtete, warf einen Blick über die Schulter zu Maggie. »Was denn? Ich für meinen Teil hoffe, dass ich in einem Jahr den Superfreund und auch sonst alles habe, was ich mir wünsche. Und? Darf man nicht mal mehr träumen?«
»So schlecht ist das, was wir haben, aber auch nicht«, antwortete Maggie. »Und das, was wir hatten.«
»Nein.« Ich schob ein paar Kleider zur Seite, um die nächsten zu sichten. »Ist es nicht.«
Ich hatte das einfach so dahergesagt, ohne groß nachzudenken. Erst als ich merkte, dass es plötzlich totenstill im Raum war, wurde mir bewusst: Alle drei schauten mich an. »Seht ihr.« Maggie nickte mir zu. »Auden versteht, was ich meine.«
»Sie hat auch das mit dem
Tallyho
verstanden«, grummelte Leah. »Aber das interessiert ja keine von euch.«
»Jetzt mal im Ernst«, meinte Maggie. »Auden hat das alles überhaupt nicht erlebt.« Beim Sprechen sah sie mich an, obwohl ihre Worte an Leah gerichtet waren. »Falls du wirklich einen Grund brauchst, dich zu stylen, auf den Ball zu gehen und Erfahrungen zu wiederholen, die du schon hinter dir hast – tu’s für Auden. Sie hat es beim ersten Mal verpasst.«
Leah warf mir einen Blick zu, musterte dann wieder ihr Spiegelbild. »Ich weiß nicht«, sagte sie. »Das ist ganz schön viel verlangt.«
»Na und?« Esther wippte auf und ab, sodass der Petticoat raschelte. »Andererseits bekommst du auf die Weise eine ideale Ausrede, um heute noch ins
Tallyho
zu gehen.«
»Auch wieder wahr«, meinte Leah.
»Ihr müsst nicht mitkommen«, sagte ich zu Maggie und nahm ein weiteres Kleid aus dem Schrank. »Ich gehe ja mit Jason hin. Ich schaffe das schon.«
»Ausgeschlossen«, antwortete sie. »Ohne Freundinnen bekommst du niemals das richtige Abschlussballgefühl.«
»Und wer außer deinen Freundinnen würde dir dabei helfen, deine Vergangenheit neu zu erschaffen, weil das Verpasste immer noch an dir nagt?«, fragte Esther.
»Niemand«, sagte Leah.
»Niemand«, bekräftigte Maggie.
Die drei sahen mich erwartungsvoll an.
»Niemand«, wiederholte deshalb auch ich. Obwohl mir durchaus eine weitere Antwort einfiel. Doch die hätte ich nie über die Lippen gebracht.
Ich merkte, dass sie mich immer noch anstarrten. Was war denn los? Hatte ich vielleicht einen Tintenfleck im Gesicht, guckte meine Unterwäsche irgendwo raus? Ich warf einen leicht panischen Blick Richtung Spiegel, doch genau in dem Moment sagte Maggie: »Wow, Auden, das ist es!«
»Das ist was?«
»Dein Kleid.« Esther nickte mir zu. »Du siehst klasse aus!«
Ich betrachtete das lila Kleid, das ich übergestreift und noch gar nicht richtig angeschaut hatte. Eigentlich hatte ich es nur deshalb aus dem Schrank geholt, weil es weder rot noch schwarz noch weiß und damit zumindest farblich anders war als alle Kleider, die ich bisher anprobiert hatte. Als ich mich nun vor den Spiegel stellte, sah ich:Es stand mir tatsächlich ziemlich gut. Schmeichelhafter Ausschnitt, weiter, fließender Rock … außerdem betonte es meine Augenfarbe. Es war kein atemberaubendes Kleid, keines, weswegen Leute auf die Bremse steigen und Auffahrunfälle verursachen würden. Aber das war vielleicht auch gar nicht nötig.
»Meint ihr?«, fragte ich.
»Definitiv.« Maggie stellte sich neben mich, streckte die Hand aus, um den weiten Rock zu berühren. »Gefällt es dir etwa nicht?«
Ich betrachtete mich aufmerksam. Ein Kleidungsstück in Lila hatte ich mein ganzes Leben lang nicht besessen, und schon gar kein Kleid. Ich sah völlig verändert aus, als wäre ich nicht mehr dasselbe Mädchen. Aber vielleicht ging es ja genau darum. Und für ein richtiges
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