Deus Ex Machina - Teil 1: Thriller
Laurenz, morgen würde ein anderer Name die Lücken füllen. Im Gegensatz zu Frank habe ich mich nie für Theologie interessiert. Für mich war Religion nichts weiter als eine zähe, dehnbare Masse, die man ausspuckt, sobald sie ihren süßlichen Geschmack verloren hat. Seit die Kirche nicht mehr in der Lage ist, die klügsten Köpfe der Menschheit als Ketzer zu verbrennen, hat sie ihr letztes Werkzeug verloren, den Siegesszug der Naturwissenschaften aufzuhalten. Ich hatte mich schon vor langer Zeit für den Atheismus entschieden. Damit war das Thema für mich erledigt.
Als ich mit Eva, die den Kopf an meine Schulter schmiegte, vor dem Grab stand und eine Rose hineinfallen ließ, konnte ich meine Tränen nicht länger zurückhalten.
„Es mag trivial klingen“, flüsterte Bernhard und fasste mich sanft an den Schultern, „aber glaub mir, er ist jetzt an einem besseren Ort. Endlich bekommt er die Antworten, nach denen er sich immer gesehnt hat. Auch du wirst deine Zweifel irgendwann ablegen, Philip.“
Ich antwortete mit einem Kopfnicken, und nachdem auch Eva kondoliert hatte, gingen wir gemeinsam weiter. Der Leichenschmaus sollte dem engsten Familienkreis vorbehalten sein.
Ich tauchte den Waschlappen ins Wasser und legte ihn mir auf das Gesicht. Das heiße Bad zeigte nicht die erhoffte Wirkung, aber wie hatte ich auch ernsthaft glauben können, all die Schmerzen des heutigen Tages ließen sich einfach so abspülen? Reglos blieb ich noch einige Minuten liegen, dann zog ich den Stöpsel raus, stieg umständlich aus der Wanne und griff nach einem Handtuch. Meine Fossil, die ich aufs Waschbecken gelegt hatte, zeigte 16 Uhr 30 an. Kevin Siegmann hatte sich für fünf Uhr angekündigt, um seinen Camcorder abzuholen. Kevin war ein alter Kumpel aus gemeinsamen Schultagen. Schon damals hatte er auf alle Konventionen gepfiffen - was ihm das Leben an einem altsprachlichen Gymnasium nicht gerade leichter machte. Kevin war der erklärte Albtraum des Lehrerkollegiums. Sogar Elternversammlungen wurden seinetwegen einberufen. Eines seiner Highlights war eine Gesangseinlage anlässlich der Wahl unseres Geschichtslehrers und alten CDU-Kämpen Gotthilf Knöterich - was haben wir über diesen Namen gelacht - in den Landtag. Als unsere Schulsprecherin, Ute Stuhlweißenbach hieß sie, glaub ich, dem pechschwarzen Gotthilf einen Blumenstrauß überreichte, schmetterte Kevin, eine Faust auf die Brust gepresst, die Internationale. Allerdings kam er nur bis zum zweiten „Völker, hört die Signale“, als Knöterich ihn schon wutentbrannt am Kragen gepackt hatte und zum Rektor schleifte. Kevin brachte es fertig, ein Einser-Abitur hinzulegen, obwohl er ab der zehnten Klasse jegliche Form von Hausaufgaben unter Berufung auf sein verfassungsmäßiges Recht der freien Persönlichkeitsentfaltung rigoros ablehnte, um stattdessen jede freie Minute an seinem Computer herumzuschrauben. Noch heute ist es mir ein Rätsel, warum man ihn nicht mit einem altruistischen Arschtritt von der Schule verwiesen hatte.
Ich zog mich an, suchte nach der schwarzen Kunstledertasche, die Kevin mir zum Transport der Kamera mitgegeben hatte, und fand sie schließlich unter der schmutzigen Wäsche, die sich seit einer Woche auf einem der Sessel in meinem Zimmer stapelte. Kevin hatte keine Ahnung, dass seine Kamera als Dokumentationswerkzeug eines Selbstmords missbraucht worden war. Es hätte ihn wohl kaum gestört, trotzdem hatte ich nicht die Absicht, an dieser Unwissenheit etwas zu ändern. Ich setzte Kaffee auf und sah die Post durch, die ich nur achtlos auf den Tisch gepfeffert hatte, als ich von der Beerdigung nach Hause gekommen war. Ich legte die Telefonrechnung beiseite und überflog die Einladung nebst Tagesordnung zur Versammlung des Studierendenparlaments am Mittwoch um 18 Uhr. Carsten Bruns hatte keine Zeit verloren.
Franks Zimmer zu betreten fiel mir noch immer schwer. Meine zittrige Hand verharrte einen Moment auf der Klinke, bis ich mich überwinden konnte, die Tür zu öffnen. Ohne mich umzusehen, montierte ich den Camcorder vom Stativ und packte die Einzelteile in die Tasche.
Kevin legte die Tastatur zurück auf Franks Schreibtisch und bröselte mit der Fingerfertigkeit eines Uhrmachers Cannabisbröckchen auf die drei zusammengeklebten, mit einer Spur Tabak belegten Blättchen.
„Und?“, fragte er. „Wie sind eure Protestaktionen gelaufen? Habt ihr der Landesregierung so richtig den Arsch versohlt?“
„Was?“ Ich sah ihm
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