Deus Ex Machina - Teil 1: Thriller
deutschen Philosophen des ausgehenden 17. Jahrhunderts. Fasziniert hatte Rensing in diversen Links die Reaktionen studiert, die auf Leibniz These gefolgt waren. In Voltaires Komödie „Candide“, in der der Titelheld von einer Katastrophe in die andere taumelt, war sie regelrecht der Lächerlichkeit preisgegeben worden. Die Abschrift der Videoaufnahme und die unerschöpflichen Quellen des Internets zu Rate ziehend, war es Rensing gelungen, weitere Stellen zu entschlüsseln, die auf philosophische Zitate anspielten: „Sollen sie doch weiter ihre Kämpfe führen. Alle gegen Alle. Der Mensch ist des Menschen Wolf.“ Thomas Hobbes, Leviathan, erschienen 1651. „Du warst mein Übermensch. Gott ist tot.“ Friedrich Nietzsche, Also sprach Zarathustra, 1885.
Warum hatte Frank Laurenz seine letzte Botschaft mit philosophischen Fingerzeigen gespickt?
Um den Sinn seiner Entdeckung deuten zu können, war ein Gespräch mit einem Fachmann unumgänglich, und Rensing hatte nicht lange überlegen müssen, um einen geeigneten Kandidaten zu bestimmen. Jan Lohoff war die einzig richtige Wahl. Auch Walter Beekmann wäre zweifellos im Stande, Licht ins Dunkel zu bringen, aber wenn Polizeipräsident Strathaus spitzbekam, dass Rensing nicht aufhörte, im Umfeld der Universität Fragen zu stellen, war Ärger vorprogrammiert.
Lohoff und Beekmann hätten am Samstagmorgen die Hinweise verstehen müssen. Aber sie hatten geschwiegen. Warum? War es ihnen nicht weiter wichtig erschienen, weil sie Tag für Tag mit diesen Themen konfrontiert werden? Beekmann war in erster Linie am Wohle der Universität gelegen. Er hätte sich eher auf die Zunge gebissen, als Rensings Augenmerk auf die Hochschule zu lenken. Aber warum hatte Lohoff nichts gesagt? Bei der Vorführung der Videoaufnahme und im nachfolgenden Gespräch hatte der junge Akademiker ein hohes Maß an Betroffenheit an den Tag gelegt.
Rensing kramte den Lageplan der Universitätsgebäude, den er aus dem Internet besorgt hatte, aus dem Handschuhfach, suchte nach dem Weg zum Philosophischen Seminar, stieg aus und steuerte auf die Gasse rechts vom Fürstenberghaus zu.
Was hatten die neuen Erkenntnisse zu bedeuten?
Erste These: Laurenz ist zum Zeitpunkt des Selbstmords nicht Herr seiner Sinne. Vollgepumpt mit Drogen, redet er lauter wirres Zeug daher und lässt Gelesenes oder Erlerntes einfließen, ohne dass es einen tieferen Sinn dafür gäbe.
Eine plausible Erklärung, die hervorragend ins Gesamtbild passte.
Zweite These: Laurenz weiß genau, was er sagt. Die philosophischen Anspielungen sind eine Art Abrechnung. Anklagen gegen wen auch immer. In dem Fall wäre auch der Rest des Videos mit anderen Augen zu betrachten. Aber warum hatte er das Kind nicht einfach beim Namen genannt? Warum waren versteckte Hinweise nötig, die einem Laien überhaupt nicht auffallen konnten?
Laurenz´ Botschaft war - abgesehen von den Passagen, in denen er das Wort direkt an seinen Mitbewohner Philip Kramer richtete - für die Polizei bestimmt. Wenn er mit den Zitaten eine bestimmte Absicht verfolgte, hätte ihm doch klar sein müssen, dass diese den ermittelnden Beamten verborgen blieb.
War noch eine dritte These denkbar?
Rensing verzichtete auf den Aufzug und stieg die Treppen hinauf. In der zweiten Etage angekommen, sah er sich um. An den Wänden hingen Poster von philosophischen Kongressen und etliche Aushänge mit Seminarterminen und Namenslisten. Am Ende des Ganges sah Rensing ein Schild, auf dem „Sekretariat“ geschrieben stand. Er betrat den kleinen Raum und reihte sich hinter drei Studenten ein, die offenbar Bücher zurückbrachten. Nach wenigen Minuten war er an der Reihe. Eine hübsche Blondine, dem Alter nach ebenfalls Studentin, sah ihn freundlich an.
„Kann ich Ihnen helfen?“
Rensing zog seinen Ausweis heraus und hielt ihn ihr hin. „Martin Rensing, Kripo Münster. Ich möchte zu Herrn Lohoff. Können Sie mir sagen, wo ich sein Büro finde?“
„Den Gang zurück, durch die Doppeltür hindurch, dann rechter Hand die zweite Tür“, betete sie routiniert herunter. „Aber Herr Lohoff hält gerade ein Seminar über Ethik in Raum 308. Wollen Sie vielleicht eine Nachricht für ihn hinterlassen?“
„Raum 308? Ist das hier im Gebäude?“
Die Studentin nickte. „Das Seminar geht bis Viertel vor. Wenn Sie möchten, können Sie vor seinem Büro auf ihn warten.“
„Das wird nicht nötig sein. Vielen Dank.“
Rensing marschierte zurück zum Treppenhaus. Vor Raum 308 angekommen
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