Deus Ex Machina - Teil 1: Thriller
wirft Fragen auf, da sind wir uns einig. Aber Antworten werden wir nur finden, wenn wir an einem Strang ziehen. Stefans Erklärung scheint mir plausibel zu sein. Einen Pferdefuß hat sie trotzdem: Es ist schon schwer zu schlucken, dass Frank jemanden gebeten haben soll, ihm in den letzten Minuten beizustehen, aber ich kann mir einfach nicht vorstellen, dass man in einer solchen Situation auch noch den Aufnahmeknopf einer Kamera gedrückt halten kann. Erst recht nicht, wenn es sich bei unserem Unbekannten um einen Freund von Frank handelte.“
„Ich weiß, dass das schwer vorstellbar ist. Trotzdem muss es so abgelaufen sein“, beharrte Stefan. „Philips Vermutung ergibt doch noch weniger Sinn. Ich wiederhole mich: Wie hätte man Frank zwingen können, sich die Pulsadern aufzuschneiden? Ein Selbstmord ist immer ein freiwilliger Akt. Ein Mensch, der nicht sterben will, ist dazu überhaupt nicht fähig.“
„Genau das wage ich zu bezweifeln“, wiedersprach ich. „Denk doch zum Beispiel nur mal an die entsetzlichen Bilder vom Terroranschlag auf das World Trade Center. Alle Welt hat sich gefragt, wie Menschen aus Hunderten von Metern in die Tiefe springen konnten, obwohl sie doch wissen mussten, dass es ihren sicheren Tod bedeutet. Wollten diese Menschen sterben? Wohl kaum! Das waren erzwungene Selbstmorde. Menschliches Verhalten in Extremsituationen lässt sich nicht rational erklären. Aus Angst vor Schmerzen, erst recht aus Angst vor dem Tod, ist jeder Mensch bereit, nach einem letzten Strohhalm zu greifen. Vielleicht hoffte Frank, dass in letzter Sekunde die Tür aufgeht und sein Peiniger überwältigt wird.“ Ich erschrak bei dem Gedanken, dass die einzige Person, auf die Frank hoffen konnte, ich selbst war. „Blutverlust führt nur langsam zum Tode. Ich sehe nicht ein, warum man die Vorstellung, Frank wollte vielleicht nur Zeit gewinnen, ins Lächerliche ziehen muss. Und außerdem“, einen Trumpf hatte ich noch, „wer sagt uns denn, dass der Unbekannte nicht auch damit gedroht hat, einem anderen Menschen etwas anzutun? Einer Person, die Frank liebte. Seiner Mutter oder seinem Vater zum Beispiel.“
„Oder dir“, warf Eva ein.
*
Gegen halb drei wurde Martin Rensing von einem stechenden Unterleibsschmerz aus dem Schlaf gerissen. Die Prostata – Geißel jedes dritten Mannes jenseits der Midlifecrisis. Rensing konnte sich nicht erinnern, wann er das letzte Mal eine Nacht durchgeschlafen hatte, ohne einen schmerzhaften Gang zum Klo einlegen zu müssen. Benommen wankte er zur Toilette.
An Schlaf war nicht mehr zu denken. Rensing stieg hinauf ins Arbeitszimmer, kramte die Abschrift der Videoaufnahme aus dem Ablagekasten und stapfte die Treppen wieder hinunter, um sich einen Kaffee aufzusetzen. Am Küchentisch ließ er sich auf einen Stuhl sinken, rieb sich die Augen und starrte auf die letzten Worte, die Frank Laurenz der Welt mitzuteilen hatte. Von Anfang an waren sie ihm bemerkenswert vorgekommen, schienen eine Botschaft zu enthalten, sie sich ihm nicht offenbaren wollte. Und was hatte die heutige Erkenntnis zu bedeuten, dass sich zum Zeitpunkt des Selbstmords allem Anschein nach eine zweite Person in der Wohnung aufgehalten hatte? War Laurenz äußerem Druck ausgesetzt gewesen? Und wenn ja, was besagte das für die Leichensache Pape?
Werner Tillack war ihm keine Hilfe gewesen. Zwar hatte Rensings Freund und Kollege beim Betrachten des Videos die erwarteten Reaktionen gezeigt – was Rensing zumindest das Gefühl gab, dass seine eigene Erschütterung nur allzu menschlich war -, doch einen tieferen Sinn, so es denn einen gab, hatte auch Tillack der Aufnahme nicht entnehmen können.
Rensing hörte, wie die Wohnungstür aufgeschlossen wurde, und sah auf die Küchenuhr. Hatte der Bengel denn heute keine Schule? Als Dirk sichtlich angetrunken die Küche betrat, schüttelte Rensing den Kopf und seufzte.
„Kannst du mir mal verraten, wo du jetzt herkommst?“
„Wieso bist du nicht im Bett?“
„Ich stell hier die Fragen.“
„Alles klar, Herr Kommissar.“ Dirk gackerte albern, wie es nur Betrunkene können. „Wenn du es unbedingt wissen willst: Ich war mit Lena im Enchilada zum Essen verabredet. Danach sind wir noch im GoGo gewesen. Falls es dir entgangen sein sollte – sie hatte gestern Geburtstag.“
„Das wusste ich nicht, entschuldige.“
„Wir sind jetzt fast zwei Jahre zusammen.“ Dirk schlurfte zum Kühlschrank rüber und kramte einen Joghurt hervor. „Ich erwarte ja gar
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