Deus X
Skandinavien, in denen man zwischen riesigen,
zerklüfteten Klippen dahinsegelt, deren subtropischer Dschungel
sich bis zu dem kristallklaren Wasser herabzieht, in dem
Robbenflüchtlinge die Sardinenschwärme abgrasen. Sie gibt
das große ägyptische Meer, in dem man ein halbes Tausend
Meilen weit durch Schilf voller Vögel gleitet, die aus der
zentralafrikanischen Wüste entflohen sind. Sie gibt
Tauchgänge über den mit Grünspan patinierten
Straßen von New Orleans. Und vor allem gibt sie die sich
wandelnden Küsten des Mittelmeers, wo ich die Monate zwischen
November und April verbringe.
Mit Sonnensegel, Strohhut und Sonnenbrille ist die Sonne dann
nicht so schlimm; wenn man das Glück hat, so schwarz zu sein wie
ich, kann man sie sogar genießen.
So gegen Ende Oktober fahr ich gern durch die Straße von
Gibraltar und dann an der Nordküste entlang nach Osten. Diese
Küste hieß früher Costa Brava und Côte
d’Azur. Es ist ein alter, alter Teil der sogenannten
zivilisierten Welt, manchmal Berge bis ans Meer, dann wieder
Küstenebenen und Deltas, und es gibt dort jede Menge
interessante Ruinen; die ersten stammen schon aus einer Zeit, als die
Römer noch nicht mal angefangen hatten, den Griechen in den
Arsch zu treten.
Die neueste und am wenigsten romantische Schicht, der
geschmacklose, touristische Strandstreifen aus dem späten
zwanzigsten Jahrhundert, der sich vom Gibraltar-Felsen bis nach Nizza
zog, ist gnädigerweise zum größten Teil in der
steigenden See versunken, so daß nur noch die
Hausbootstädte der Boat People über den untergegangenen
Hotels schwimmen, die jetzt Flüchtlingslager für die
wenigen Fische sind, die ‘s in dem sterbenden Meer noch
gibt.
Dort, wo die alte Küste steiler und zerklüfteter war,
zogen sich an manchen Stellen die kleinen Städte und Dörfer
langsam hangaufwärts zurück, als das Wasser stieg,
während sich woanders ehemalige Bergdörfer plötzlich
am Meeresufer wiederfanden. Die Ostküste von Nordamerika, die
Nordseeküste und ähnliche Orte, wo entvölkerte
Städte sich hinter den großen Deichen ducken, sehen wie
eine Kampffront aus, wo der Verlierer bereits feststeht, aber hier
unten scheinen die Menschen, die geblieben sind, buchstäblich
mit dem Strom geschwommen zu sein, wie sie es immer getan haben, und
ihre ewig abbröckelnden Küstenstädte und -dörfer
heben und senken sich mit der Zeit und den Gezeiten.
Heutzutage fahre ich meistens am Stiefel Italiens entlang bis nach
Sizilien runter und dann zur afrikanischen Küste hinüber.
Früher bin ich manchmal die Adriaküste bis zum schönen
toten Venedig raufgefahren, um in den pelagischen Ruinen das Kraut zu
rauchen und voller Sentimentalität den edlen Torheiten des
Menschen der alten Welt nachzutrauern, dessen dauerhafteste Monumente
in endloser Abfolge immer nur von vergangener Herrlichkeit
künden.
Die letzten paar Jahre habe ich mich nicht mehr so weit gewagt;
ich habe keine Lust, auf dem Rückweg in den Atlantik hinaus und
zu den Fjorden ein Wettrennen mit der Sommersonne auszutragen, damit
ich den Sommer in einem erträglichen Klima verbringen kann.
Am Anfang meines Reiselebens bin ich auf meinem östlichen
Kurs in aller Eile die italienische Küste runtergefahren, damit
ich noch einen Abstecher zu den griechischen Inseln machen konnte,
bevor ich umkehren mußte, um der Sonne zu entkommen. Schwerer
Fehler, Mann. Mein Zeitgefühl erwies sich als muchissimo
optimistisch, und meine klassischen Illusionen auch.
Die griechischen Inseln hat’s schwer erwischt. Als die Fische
starben und die Sonne fürs Touristengeschäft tödlich
wurde, entwickelten sie sich wirtschaftlich Richtung Haiti und
schlimmer; das Absterben der Bäume und der Bodenvegetation
erledigte den Rest, und jetzt sind vom magischen Königreich der
Mythen Homers nur noch verlassene Friedhofsinseln übrig, auf
denen sich eine Handvoll menschlicher Ruinenratten angesiedelt hat,
die mit Messern im Mund und Hunger im Blick angeschwommen kommen
– ein mitleiderregender Anblick.
Schwarzer Junge, laß die Sommersonne hier nicht über
dir aufgehen!
Aber sie hat’s getan. Hunderte von Inseln erhoben sich immer
noch mehr oder weniger weit aus dem toten, azurblauen Meer, keine
einzige ohne die bleichenden Gebeine von Städten und
Dörfern, die schon tausend Jahre alt waren, als meine Vorfahren
aus Mutter Afrika in die Knechtschaft im amerikanischen Babylon
verschleppt wurden. Ich weiß nicht, wonach ich gesucht habe,
als ich wochenlang in diesem
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