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Deus X

Deus X

Titel: Deus X Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Norman Spinrad
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Eure
Heiligkeit, nicht wahr?« sagte das Gesicht auf dem Bildschirm.
»Auf Ihren Glauben an mich. Meinen Glauben an Sie. Unseren
Glauben aneinander.«
    »Das klingt nicht nach dem Satan«, sagte die
Päpstin leise. »Ich bin ein weltliches Geschöpf, und
ich bin in großer Versuchung, das Leichte, Politische,
Praktische zu tun, das, was getan werden muß, um die Kirche zu
retten, die meiner Obhut anvertraut wurde…«
    Sie seufzte, als würde das Gewicht der Welt und noch mehr auf
ihren schwachen Schultern lasten, wie es in diesem Augenblick nach
ihren Maßstäben ja auch wirklich der Fall war. Aber in den
obsidianschwarzen Augen und in der Art, wie sie sich dann
kerzengerade aufrichtete, wieder zur Aztekenpriesterin wurde und als
Avatar von Frag-lieber-nicht-wem sprach, war absolut keine Spur von
Schwäche zu erkennen.
    »Doch in dieser Angelegenheit bin ich kein weltliches
Geschöpf. Ich bin nicht ich selbst. Ich bin, was Christus
persönlich Petrus anvertraut hat, ich bin das fleischgewordene
Wort, ich bin das Gefäß des Heiligen Geistes. Ich bin die
Päpstin.«
    Und wehe, du glaubst mir das nicht, mein Lieber!
    Sie seufzte erneut. »Und als Päpstin darf ich solche
Dinge nicht mit bloßer weltlicher Klugheit entscheiden. Ich darf überhaupt nicht sprechen. Ich muß mich von allen
weltlichen Wünschen freimachen, so daß der Heilige Geist
durch mich sprechen kann.«
    »Und tut er es?« fragte das Gesicht auf dem
Bildschirm.
    »Nein«, sagte die Päpstin. »Ich brauche ein
Zeichen Gottes, daß ich mit einer wahren Seele spreche, die
nach seinem Bilde geschaffen ist.«
    »So etwas liegt nicht in meiner Macht«, sagte das
Gesicht auf dem Bildschirm. »Aber vielleicht akzeptieren Sie
dieses Zeichen von mir. So wie ich das Ihre…«
    Pater De Leones Gesicht zerfiel in Pixel. Die Pixel wurden Sterne
in der Dunkelheit des Nichts. Und das Firmament teilte sich und gab
den Blick auf die Erde frei, grün, blau und weiß,
leuchtend und lebendig in der immerwährenden Nacht. Und die
Wolken wurden von Stickoxiden verunreinigt, die Ozeane mit
Algenblüten verseucht, die Grüntöne der Kontinente
unter der Treibhaussonne gebräunt.
    Und umrahmt von diesem Bild vom Sterben der Biosphäre, ein
primitives hölzernes Kreuz, das eine Sekunde lang leer blieb.
Dann erschien eine Gestalt, die davor schwebte, die Arme
ausgestreckt, nackt bis auf das zerlumpte Tuch um die Lenden.
    Ein Christus aus hundert Gemälden mit dem Gesicht eines
Mannes, den ich nur allzugut kannte.
    »Denn also hat Gott die Welt geliebt, daß er seinen
eingebornen Sohn schickte, um für ihre Erlösung am Kreuz zu
sterben«, sagte Pierre De Leone. Er zuckte die Achseln und
lächelte wehmütig. »Für das Fleisch als wahre
Tragödie, für solche wie uns leider als reine
Farce.«
    »Was tun Sie, Mann?« rief ich aus.
    »Das einzige, was ich tun kann«, sagte Deus X.
    Und der Planet hinter ihm löste sich zu Pixeln auf. Und die
Pixel wurden zu einem Heer von Gesichtern, und dieses zu einem
Wirbelwind aus Feuer, das brannte, aber nichts verzehrte.
    »Diese hier sind mein Leib, und das ist mein Blut«,
sagte Deus X.
    Ein digitaler Vierminuten-Countdown erschien und legte sich wie
eine Krone aus elektronischen Dornen um seinen Kopf.
    »Was geht hier vor?« ertönte die Stimme der
Päpstin. Ich konnte ihren warmen Atem in meinem Ohr fühlen,
als sie sich auf die Rücklehne meines Stuhles stützte.
    »Selbstzerstörungsprogramm geladen. Start minus drei
Minuten neunundvierzig Sekunden. Hier ist der Hammer, dort sind die
Nägel.«
    »Moment!« rief ich.
    »Halt!« sagte die Päpstin.
    »Auf der X-Taste liegt ein Abbruchbefehl, Eure
Heiligkeit«, sagte Deus X. »Ich befehle meinen Geist dem,
was nun durch Sie sprechen muß, so oder so. Würde
etwas anderes als eine Seele diesen Geist dessen unfehlbarer Weisheit
in der Hoffnung ausliefern, daß andere leben
mögen?«
    Die Päpstin glitt um mich herum. Ihr Finger schwebte
zögernd über der Taste.
    3:09.
    »Sehen Sie mein Zeichen«, sagte Deus X. »Zeigen Sie
mir das Ihre.«
    »Das ist ein Bluff, Eure Heiligkeit«, sagte Kardinal
Silver. »Und wenn nicht, retten wir die Kirche, indem wir das
System ein für allemal von diesem… diesem Virus
befreien.«
    »Zu welchem Preis für seine Seele, John?«
flüsterte die Päpstin.
    2:41.
    »Der Herr ist mein Hirte; mir wird nichts
mangeln…«
    »Wollen Sie das wirklich zulassen, Lady?« platzte ich
heraus. »Wollen Sie wirklich eine Seele kreuzigen, die ihr Leben
in Ihre Hände

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